Stellungnahme: „Rassismus am Teller“
In den vergangenen Jahren wurden manche diskriminierende Speisebezeichnungen aufgrund ihres rassistischen Charakters in vielen Gastronomiebetrieben geändert. Im Sinne einer diskriminierungsfreien Sprache sollten Namen gefunden werden, durch die niemand potenziell beleidigt wird. 2012 äußerte sich der Fachverband für Gastronomie der Bundeswirtschaftskammer – in Zusammenarbeit mit SOS Mitmensch – in einem Newsletter und legte den Gastronominnen und Gastronomen nahe, unter anderem das Dessert „M* im Hemd“1 in Zukunft anders zu benennen (z.B. Schoko-Nuss-Kuchen mit Schlagobers).2 Der mediale Widerstand war teilweise groß. Seit jeher wird in dieser Debatte mit lange bestehenden Traditionen argumentiert, und das Thema wird ob seiner oftmals zitierten Unwichtigkeit als lächerlich dargestellt. Allerdings ist das der falsche Ansatz, um latenten Alltagsrassismus gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe zu überwinden.3
Aber auch wenn rassistische Bezeichnungen für Speisen geändert werden und eine Bewusstseinsbildung auf sprachlicher Ebene passiert, können allein durch die Form und Darstellung von Nahrungsmitteln beleidigende Klischees bedient werden, vor allem in der Patisserie mit ihren vielfältigen gestalterischen Möglichkeiten. So verwendete eine Grazer Bäckerei die Bezeichnung „Faschingsköpfe“ für eine Mehlspeise, für die üblicherweise der rassistische Begriff „M*-Kopf“ verwendet wird, jedoch wiesen die Süßigkeiten selbst Merkmale auf, die rassistische Darstellungen von Schwarzen Menschen reproduzieren. Dabei handelte es sich zum Beispiel um sehr wulstige rote Lippen und „traditionelle“ Ohrringe. Diese Attribute stammen aus der Kolonialzeit und wurden damals wie heute dafür verwendet, um Schwarze Menschen als unzivilisiert, wild und dumm darzustellen.4 Eine Bäckerei in Grasse (Frankreich) verkaufte Süßigkeiten, die Schwarze Männer und Frauen nackt darstellten und deren primäre Geschlechtsmerkmale überdimensional hervorhoben. Dies ist einerseits eine Manifestation der rassistischen Vorstellung, Menschen mit dunkler Hautfarbe seien exotische Objekte, über deren Körper und Sexualität verfügt werden könne.5 Andererseits reproduziert die Darstellung das ebenfalls kolonialistische Bild der „primitiven Wilden“ ohne Schamgefühl.6
Aufgrund der oftmaligen kulturellen Reproduktion all dieser Stereotype in Büchern, Filmen und Emblemen für weiße Menschen, sind sie diesen nicht nur sehr geläufig, sondern auch völlig unverdächtig bezüglich des Verdachts des Rassismus. Dementsprechend stark ist meist die Empörung, wenn diese Attribute Anlass für eine Diskussion über Rassismus sind.
Bestimmte Bilder und Klischees von Schwarzen Menschen sind seit Jahrhunderten im weißen, „europäischen“ Denken verhaftet und jede bzw. jeder Weiße wurde im Laufe seines oder ihres Lebens oft damit konfrontiert, weswegen sie aus der Perspektive dieser Gruppe als „normal“ und daher als nicht rassistisch betrachtet werden.7 Gerade deshalb ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass ein „Faschingskopf“ oder ähnliche Speisen, die mit stark herabwürdigenden bildlichen Klischees ausgestattet sind, Ausformungen von Alltagsrassismus sind. Schwarze Menschen werden durch derartige Darstellungen auf vielen Ebenen beleidigt und ausgegrenzt. Eine Bildsprache, die derart negative Klischees bedient, widerspricht dem Anspruch eines respektvollen Umgangs und ist genauso als Diskriminierung zu werten wie etwa verbale rassistische Beleidigungen.
Wachsenden Widerstand zeigt auch der vermehrte Einsatz rechtlicher Mittel gegen rassistische Darstellungen: So brachte im Jahr 2007 ein kongolesischer Student in Belgien eine Klage gegen den Comic „Tim im Kongo“ ein, der 1930 zum ersten Mal erschienen war. Der Kläger kritisierte die kolonialistische und stark herablassende Charakterisierung Afrikas und Schwarzer Menschen. Im Jahr 2012 wurde in erster Instanz allerdings entschieden, dass der Comic nicht gegen die bestehenden Antirassismusgesetze verstoße.8 Zumindest in Schweden entschlossen sich daraufhin einige öffentliche Büchereien, das Buch nicht mehr zur Verfügung zu stellen.9 An diesem Fall zeigt sich, dass rassistische Darstellungen auf gesellschaftlicher Ebene und durch Bewusstseinsbildung bekämpft werden können und sollen, auch wenn wenig rechtliche Handhabe besteht.
Besonders auch im Bereich der Produktpolitik kann die Einstellung der Konsumentinnen und Konsumenten viel bewirken. In Schweden und Dänemark nahm Haribo das Produkt „Skipper Mix“ vom Markt, weil das Design der Lakritzbonbons von vielen als rassistisch wahrgenommen wurde und öffentlicher Druck aufgebaut wurde.10 Die Intention ist aber nicht, bestimmte Produkte generell zu verbieten, sondern frei von diskriminierenden Elementen anzubieten. In der Gastronomie genügt oft eine Namensänderung, in der Patisserie die Vermeidung rassistischer Bezeichnungen und Darstellungen. Namen, Bilder und Logos von Unternehmen oder im Musik-, Film- und Fernsehbereich sollten im Zuge der Modernisierung auf digitale, HD- und 3D-Formate auch gleich dementsprechend „antirassistisch modernisiert“ werden. Dies geschah zum Beispiel bei „Pippi Langstrumpf und der Südseekönig“.11 Der „N*-König“ und auch der „Z*“12 wurden zum Teil zu „Piraten“.
Auf diese Weise wurden auch schon andere bekannte und beliebte Bücher und bildliche Darstellungen modernisiert und überarbeitet, um kolonialistisch geprägte Klischees in Zukunft nicht mehr zu bedienen. Es entspricht nicht mehr dem heutigen Anspruch an Diversity-Gerechtigkeit, mit derartig veralteten Stereotypen und rassistischen Beschreibungen zu werben. Neben „Green-washing“ und fairen Dienstleistungen und Produkten, sollten der Markt und die Medien auch diskriminierungsfrei sein.11
1 Analog zum N-Wort, das wir im Sinn einer konsequenten Vermeidung rassistischer Begriffe als N* wiedergeben, wird auch der mit M beginnende rassistische Begriff für Schwarze Menschen als M* wiedergegeben.
2 Initiative Minderheiten/Radio Stimme: „Rassismus à la carte“, Sendung vom 20.03.2012
3 SOS Mitmensch: Fragen & Antworten zu diskriminierenden Speisebezeichnungen (2012)
4 Aïssatou Bouba: Afrika in deutschen Schriften der Frühen Neuzeit am Beispiel von »Die Merfahrt« von Balthasar Sprenger (2013)
5 Hansjörg Bay/ Kai Merten: Die Ordnung der Kulturen: zur Konstruktion ethnischer, nationaler und zivilisatorischer Differenzen 1750-1850 (2006)
6 Christina Antenhofer (Universität Innsbruck): Fetisch als heuristische Kategorie (2014)
7 Renate Nestvogel: Afrikanerinnen in Deutschland: Lebenslagen, Erfahrungen und Erwartungen (2014)
8 http://www.afrikanet.info/menu/news/welt/datum/2012/02/12/tintin-au-congo-urteil-in-belgien/ (12.02.2012)
9 http://www.lefigaro.fr/bd/2012/12/05/03014-20121205ARTFIG00713--tintin-au-congo-n-est-pas-raciste-selon-lajustice-belge.php (10.12.2012)
10 http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/haribo-reagiert-mit-verkaufsstopp-auf-rassismus-vorwuerfe-a-944179.html (17.01.2014)
11 www.welt.de/debatte/kommentare/article13887699/Wenn-Zehn-kleine-Negerlein-einfach-verschwinden.html, 19.03.2015.
12 Vgl. Fußnote 1: Analog zum N* und M* wird auch der rassistische Begriff für die Gruppe der Roma und Sinti als Z* wiedergegeben.