Stellungnahme zum Thema „Vorbereitungsklassen für Kinder mit Deutsch-Förderbedarf“
Anlässlich der Präsentation des Integrationsberichtes 2014 und der Diskussion über den Vorschlag, Kinder mit Deutsch-Förderbedarf in separaten Klassen in Deutsch zu unterrichten, erlaubt sich die Antidiskriminierungsstelle Steiermark folgende Stellungnahme abzugeben:
Der ExpertInnenrat für Integration hat in seinem kürzlich veröffentlichten Bericht vorgeschlagen, dass es im Sinn der schulischen Eingliederung von „QuereinsteigerInnen“ zur „Einrichtung von Vorbereitungsklassen“ kommen soll, „wenn eine entsprechende Nachfrage in einem schulischen Einzugsbereich vorhanden ist.“ „Die Dauer der Vorbereitungsklasse richtet sich nach den Deutschkenntnissen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und muss nicht unbedingt dem traditionellen Beginn- und Enddatum eines Schuljahres folgen“, so der Bericht. Danach solle eine rasche Integration in den regulären Klassenverband erfolgen.1
Aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle Steiermark soll das gemeinsame Lernen aller Kinder miteinander und voneinander ermöglicht werden, um damit ein Höchstmaß an Bildungschancengleichheit herzustellen. Alle bisherigen Studienergebnisse2 weisen darauf hin, dass Frühselektion soziale und materielle Benachteiligung in Bildungsbenachteiligung umwandelt und so vielfach nachhaltig Chancen zunichte gemacht werden.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auch beim Vergleich der internationalen Lese-Vergleichsstudien PISA (für Absolventinnen und Absolventen der Sekundarstufe) und PIRLS (für Absolventinnen und Absolventen der Primarstufe), woraus sich ergibt, dass eine frühe Selektion sowohl zu geringerer Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit benachteiligtem sozialen Status als auch zu schwächeren Gesamtergebnissen führt.3
Die Erfahrungen verschiedener Expertinnen und Experten aus der Sprachwissenschaft zeigen, dass der gemeinsame Unterricht die höhere Relevanz hat, da sich für die Kinder im Klassenverband die Motivation Deutsch zu lernen, erhöht. Der Unterricht in Extraklassen – auch wenn es sich um Vorbereitungsklassen handelt – hätte den gegenteiligen Effekt: Die Kinder würden stigmatisiert und nicht motiviert. Die Expertinnen und Experten weisen zudem darauf hin, dass solche Initiativen der Trennung immer wieder im Raum standen, jedoch nie erfolgversprechend waren. Stattdessen sollten etwa zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer in den Klassen zur Verfügung stehen.4
Wichtig ist eine frühe Sprachförderung und zwar durch die Einführung eines zweiten, verpflichtenden Kindergartenjahres für alle Kinder, und nicht nur für diejenigen, die einen besonderen sprachlichen Förderungsbedarf aufweisen, wie es der Integrationsbericht empfiehlt.5
Kinder nach sprachlichen Kriterien in einem so sensiblen Alter zu trennen, führt ganz eindeutig zu einem diskriminierenden Gefühl bei Kindern mit Migrationshintergrund sowie auch bei österreichischen Kindern, die ein Sprachdefizit aufweisen, und kann sich auf deren weitere Entwicklung negativ auswirken.
Die Schule sollte ein Bereich der Gesellschaft sein, in dem Integration und Inklusion in besonderer Weise funktioniert. Schülerinnen und Schüler, deren Mutte rsprache nicht Deutsch ist und die eine unterschiedliche Kultur, Religion und/oder Sprache haben, können zur Bereicherung des Unterrichts beitragen und den Schulalltag beleben.
Der von verschiedenen politischen Parteien formulierte und in diversen Medien diskutierte Vorschlag, Kinder mit Migrationsgrund in getrennten Klassen zu unterrichten, widerspricht nicht zuletzt auch menschenrechtlichen Grundsätzen, wie einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus den letzten Jahren zeigen: Dazu sei hier besonders auf zwei Entscheidungen6 hingewiesen, in denen festgestellt wird, dass Roma-Kinder in ihrem durch Artikel 14 EMRK (i.V.m. Artikel 2 Protokoll Nr. 1) gewährleisteten Recht auf Bildung verletzt werden, wenn sie aufgrund ihrer angeblich „mangelhaften Sprachkenntnisse“ getrennt von den Kindern der sogenannten Mehrheitsbevölkerung unterrichtet werden. Der separate Unterricht stellt laut EGMR in pädagogischer, psychologischer und emotionaler Hinsicht eine Benachteiligung für diese Schülerinnen und Schüler dar.
1 Vgl Bericht des Expertenrats für Integration 2014, 38.
2 Vgl OECD Report "No More Failures. Ten Steps To Equity in Education" 2007
3 Vgl Der Standard, abrufbar unter <http://derstandard.at/3012428>
4 Vgl Der Standard, abrufbar unter <http://derstandard.at/2000003518425/Experten-plaedieren-fuer-Migrantenklassen>
5 Vgl Bericht des Expertenrats für Integration 2014, 37.
6 Vgl EGMR, D.H. gegen Tschechien vom 13.11.2007 (57325/00) und EGMR, Orsus u.a. gegen Kroatien vom 16.3.2010 (15766/03).