Höhere und gerechte Entlohnung aller Sozialarbeiter*innen im Landesdienst
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark wurde im Zuge der Diskussion über eine höhere und gerechtere Entlohnung von Sozialarbeiter*innen im Landesdienst, gebeten, mögliche Diskriminierungspotenziale sowie sozial- und gesellschaftspolitische Implikationen bei der Stellenbeschreibung, Einstufung, Verwendung und Entlohnung von Sozialarbeiter*innen im steirischen Landesdienst zu erheben und darzustellen.
Ausgangslage:
Im Jänner 2022 kam am Landesgericht für Strafsachen als Arbeits- und Sozialgericht die Causa „Pabst gegen Amt der Steiermärkischen Landesregierung/Personal" zur Verhandlung. Die klagende Partei Gertrude Pabst, BA, Sozialarbeiterin in der Kinder- und Jugendhilfe im Landesdienst begehrte in ihrer Klage gegen das Land die Überprüfung ihre Einstufung als Sozialarbeiterin und sah darin eine Ungerechtigkeit sowie eine seit Jahren andauernde Schlechterstellung von Sozialarbeiter*innen, die sie vor allem darin begründet sah, dass Sozialarbeit im Landesdienst aufgrund der Einstellung zugrundeliegendem Systems (HAY- Modell) und der damit verbundenen Bewertung von Sozialarbeit strukturell schlechter gestellt wird; insbesondere dies im Vergleich zu anderen Berufsgruppen (wie etwa Psycholog*innen oder IT Kräften mit entsprechend gleicher tertiärer Grundausbildung).
Die Klage wurde abgewiesen. Als wesentliche Entscheidungsgrundlage kann dafür ein vom Gericht beauftragtes Gutachten angesehen werden, welches die einzelnen inkriminierten Punkte der klagenden Partei (Pabst) begutachtete und im wesentlich zur Überzeugung gelangte, dass an der Arbeitsplatzbeschreibung/-bewertung sowie der Einstufung der Frau Pabst im konkreten und an der Sozialarbeit im Allgemeinen der steiermärkischen Landesregierung kein Änderungsbedarf bestehe.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark möchte jedoch auf einige Aspekte hinweisen, die - aufgrund der im Verfahren eng gesteckten Fragestellungen - darüber hinaus gehen und unserer Ansicht nach sehr wohl mit einbezogen werden müssen, um zu beurteilen, ob und wie groß das Diskriminierungs- und Benachteiligungspotenzial bei Einstellungen von Sozialarbeiter*innen im Landesdienst ist und wie dieses vermindert werden kann.
Im Folgenden werden zwei Aspekte näher erläutert.
1. Bewertungsmodell HAY¹ - Anpassungen und Überarbeitung
Das HAY Modell ist bis heute ein anerkanntes und gängiges Standardsystem zur Stellenbewertung in Unternehmen, welches in den 1940er von der Hay Group entwickelt wurde. Drei wesentliche Fragen sollen mit dem Hay Modell beantwortet werden:
- Wie hoch ist der Beitrag der Stelle zum Unternehmen?
- Wie komplex sind die zu lösenden Aufgaben und Probleme?
- Welches Niveau haben die Kompetenzen und Fähigkeiten, die dafür erforderlich sind?
Über die Jahre hinweg wurde das HAY System zu einem ausgeklügelten und methodisch genauen und aufwendigen System ausgearbeitet und kann als Standardsystem für Unternehmen angesehen werden.
Wie aus der Beschreibung hervorgeht, wurde das HAY Modell für Unternehmen konzipiert und breitete sich im Laufe der Zeit auch auf andere Organisations- und Gesellschaftsformen aus. Wenngleich es immer wieder Anpassungen an neue Organisationsumfelder gab, so bleibt doch der Fokus auf unternehmerische Profitaspekte dominant.
Wie Clemens Sedmak², das in seiner Eröffnungsrede zum 15. Kongress Armut und Gesundheit in Berlin³ formulierte: „Erstens, es passiert etwas mit dem System, wenn Sie es rein nach Marktgesetzen ablaufen lassen und zweitens, es lassen sich nicht alle Gesetze des Marktes auf sämtliche Lebenssphären der Menschen übertragen, ohne dass etwas passiert, was nachteilig für Gerechtigkeitsüberlegungen sein kann."
Die steiermärkische Landesregierung hat das HAY System seit Jahren in Verwendung und an spezifischen Bedürfnisse angepasst. Der Sedmak´schen These folgend, führt das dennoch zu Probleme der Gerechtigkeit und stellt ein Feld der potenziellen Diskriminierung und/oder Benachteiligung dar. Anhand der Debatte um Einstellung von Sozialarbeiter*innen wird allzu deutlich, dass in einer Verwaltung, die keinen Profit zu lukrieren und im überwiegenden Maße für die Allgemeinheit zu arbeiten hat, das HAY Modell in seiner Grundstruktur die Bedürfnisse und Anforderungen von Mitarbeiter*innen in Verwaltungseinheiten (Personalstellen) ungenügend methodisch erfassen kann.
Ähnlich geht es mit dem Genfer Schema⁴, dass in den 1950er entwickelt wurde und in den meisten das HAY Modellen und Modifikationen als Grundlage vorzufinden ist.
Das Genfer Schema hat folgende Hauptkategorien:
- Geistige Anforderungen
- Körperliche Anforderungen
- Äußere Arbeitsbedingungen
- Verantwortung
In den letzten Jahren ist es zu Anpassungen und Ausdifferenzierungen der Kategorien gekommen und der Trend geht auch weg von der Messung einzelner Tätigkeiten hin zu ganzheitlichen Bewertungen der Anforderungen. Dies erscheint umso hervorhebenswerter zu sein, als sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen rasant ändern und neue „Wertigkeiten" dabei relevant werden, die es gilt, auch in Bewertungssysteme zur Arbeitsplatzeinstufung und -bewertung besser abzubilden.
Einige Stichworte seien hierzu erwähnt:
- Die Digitale Revolution (digitale Medien und KI)
- Die (bewußt herbeigeführten) Spaltungstendenzen der Gesellschaft
- Steigende Hass und Gewaltpotenziale, sowie Radikalisierungstendenzen bei Klient*innen und Bürger*innen als Kund*innen
- Steigende psychische und sozioökonomische Herausforderungen
- Sinkende Fähigkeiten das soziale Leben zu meistern, Isolation und Vereinsamung
- Fehlende Grundbildung in der Bevölkerung
- Massive Veränderungen am Arbeitsmarkt und geänderte Ansprüche
Conclusio: Das Hay Modell ist durchaus methodisch genau, jedoch bedarf in seiner inneren Logik und den Verhältnismäßigkeiten der einzelnen Kategorien und deren Bewertung zueinander einer genaueren Prüfung und regelmäßigen Evaluation, die insbesondere die speziellen Bedingungen von öffentlicher Verwaltung und Non Profit Organisationen (NPO) zum Gegenstand der Beobachtung macht. Das ist umso stärker zu urgieren, als dass wir mittlerweile wissen, dass bei digitalen, aber auch analoge Studien, Forschungen, Auswahl- und Bewertungssysteme, sowie Evaluationen immer Grundannahmen, Meinungen ja mitunter auch Ideologie der damit befassten Expert*innen mit einfließen und oft unbewusst die Ergebnisse beeinflussen. Diesem sogenannten Bias (Verzerrung) muss bei gesellschaftlich-sozialrelevanten Themen besonderes Augenmerk zu kommen⁵.
Weiters erscheint es dringend notwendig, spezielle Berufsgruppen und Aufgabenfelder einer genauen Überprüfung zu unterwerfen, um Potenziale von Ungerechtigkeiten nicht nur rechtspositivistisch zu beantworten, sondern sie in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu bewerten und gemäß der neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, als Vexierglas für die eigenen Arbeitsabläufe und Ordnungsstrukuren zu hinterfragen und die Bezugnahme und Wertigkeit der Kategorien (Hay Modell und Genfer Schema) in Frage zu stellen.
Als öffentlicher Träger, Arbeits- und Auftraggeber (Land Steiermark) stellt die Vorbildwirkung ein wichtiges Gut dar, das der Gesellschaft signalisiert, dass die gesellschaftliche Verantwortung ernst genommen wird. Neue Gerechtigkeitssysteme und Ordnungsprinzipien einzuführen, um Diskriminierung zu verhindern, trägt daher auch zur Glaubwürdigkeit bei. Im konkreten Falle der Sozialarbeiter*innen im Landesdienst hieße das, auf diese veränderten Bedingungen zu reagieren und - nach Überprüfung der Vorbringungen - neue und Grundlagen, im Sinne des Auftrags der öffentlichen Verwaltung, zu schaffen, die mehr Gerechtigkeit herstellen.
2. Sozialer Status: Frauenberuf!
Auf einen zweiten Aspekt möchte die Antidiskriminierungsstelle Steiermark bei der Diskussion um Stellenwert und Einstufung der Sozialen Arbeit im Landesdienst, als potenziell diskriminierend und benachteiligend hinweisen. Dieser lässt sich mit dem Begriff des Sozialen Status beschreiben.
„Der Soziale Status bezeichnet die bewertete soziale Lage und Position einer Person im Vergleich zu anderen Mitgliedern einer Gesellschaft. Diese ist umso mehr von der Wertung der Anderen, der Gesellschaft und der Politik abhängig und getragen."⁶ Sozialer Status bezieht sich aber nicht allein auf Individuen sondern auch auf Schichten oder Berufsgruppen⁷.
Seit langer Zeit deuten alle einschlägigen Studien und Erhebungen darauf hin, dass es Berufe und Berufsgruppen gibt, die in ihrer Entlohnung, ihrem Status und der gesellschaftlichen Anerkennung schlechter gestellt sind, als andere. Solche Berufe sind sogenannte „Frauenberufe" und/oder eben systemrelevant. Merkmale sind, neben des hohen Frauenanteil (über 50%), auch die Systemrelevanz und das Tätigkeitsfeld, das oft im Dienstleistungsbereich und im Carebereich⁸ angesiedelt ist.
Gerade in der Corona Pandemie standen jene Beschäftigten im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil sie die größten Lasten (Gesundheitsrisiken) zu tragen hatten und dabei deutlich wurde, dass sie für die notwendigen Grundlagen des Lebens sorgten (Regalbetreuer*, Kassier*, Apotheker*, Pfleger*innen usw.), jedoch wenig gesellschaftliche Anerkennung und geringen Lohn erhalten.
Vor allem die Tätigkeiten der Soziale Arbeit - oft auch „Normalisierungsarbeit" genannt - weil sie für die Reproduktion von Normalzuständen bzw. Normalverläufen in unserer Gesellschaft unabkömmlich sind - verlief bislang größtenteils unsichtbar⁹.
Die Profession Soziale Arbeit gehört ebenso zu dieser Kategorie, wie etwa die Pflege- und Gesundheitsdienste. Hohe Belastungen und Verantwortungen, multiprofessionelle Fähigkeiten mit vielen unsichtbaren Sorge- und Unterstützungsleistungen und ein hoher Frauenanteil auf der einen Seite und geringes Prestige, mangelnde soziale Anerkennung sowie schlechte Besoldung auf der anderen Seite, zeichnen diese Berufsfelder aus.
Die Soziale Arbeit kämpft seit vielen Jahren mit dem Nimbus, der Ehrenamtlichkeit, der caritativen Hilfe; mit dem Bild, dass es eben „natürliche Frauenarbeit" sei, für andere, für Schwache, für Kinder und alte Menschen da zu sein und daher legitim sei, diese als selbstverständlich anzusehen.
Die soziale Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem eigenständen hochqualitativen Beruf entwickelt, der eine datenbasierte, eigenständige Wissenschaftsdisziplin entwickelt hat und bereits seit 2006 ausschließlich ein zweiteiliges Hochschulstudium (Bachelor und Master) zur Grundlage hat. Zu beachten ist, dass bei der Prüfung sieht der EUGH in seinem Urteil vom 28.02.2013, C-427/11 - Kenny u.a. vor, dass „Arbeitnehmer*innen gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können."
In der Abwägung dessen muss beachtet werden, dass Sozialarbeiter*innen in vielfältigen Positionen und leitenden verantwortungsvollen Funktionen im Landesdienst eingesetzt werden. So sind Sozialarbeiter*innen im Landesdienst fallführend und letztverantwortlich, also mit erheblichen organisatorischen und fachlichen Aufgaben betraut, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Kompetenzen erfordern.
Die steiermärkische Einstufung sieht jedoch lediglich Stufe 12 vor. Die Gehaltsklasse 12 wird generell als „Fachassistenz" bezeichnet. Psycholog*innen, die ebenfalls eine Hochschulausbildung vorweisen müssen, sind im Vergleich dazu in Stufe 14 verankert. Noch deutlicher wird dieses Ungleichgewicht, wenn man die Sozialarbeit mit anderen Berufen, wie etwa Techniker*innen oder IT-Fachkräfte vergleicht. Durchaus vergleichbar müssen diese ebenso eine universitäre Ausbildung wie die Sozialarbeit vorweisen (FH oder Uni) werden jedoch in Stufe 14 eingestuft.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark sieht darin ein strukturelles Problem, das in der Überschrift bereits definiert wurde. Soziale Berufe sind häufig Frauenberufe und diese beiden Parameter führen zu einer systematischen Benachteiligung in der Bewertung, dem sozialen Prestige, der Einstufung und Entlohnung dieser Berufe. Durch zahlreiche Studien und Untersuchungen sind diese Fakten evident¹⁰.
Hierbei spielt der soziale Status der Berufsgruppe und weiblich dominierte Beruf eine nicht unerhebliche Rolle und kann sich in diskriminierenden Faktoren niederschlagen, so führt ein Berufstand neben gesellschaftlicher Anerkennung auch zu höheren Gehältern und Einstufungen.¹¹
Da die Verwaltung und die öffentliche Hand wesentlicher Faktor des Arbeitsmarktes darstellt und etwa im steirischen Landesdienst (ohne Graz) geschätzt mehr als 250 Sozialarbeiter*innen tätig sind, kommt dem Arbeitgeber Land auch eine wichtige Vorbildfunktion zu, die in der öffentlichen Debatte nicht unterschätzt werden darf.
Wenn Sozialarbeiter*innen ihrer Leistung für das Gemeinwohl entsprechend eingestuft und entlohnt werden, so trägt das zur Imageverbesserung mit bei, erhöht die Attraktivität des Arbeitgebers und sendet wichtige Signale an die öffentlich-politische Sphäre, dass gerade das Land ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommt und Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Wertschätzung der Sozialen Arbeit ernst nimmt. Im Übrigen könnte damit die - zunehmend prekärer werdenden - Engpässe bei der Besetzung von Fachkräften entgegengewirkt werden.
Fußnoten
1 https://www.personalwirtschaft.de/news/personalentwicklung/1376-2-148119/
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_Sedmak
3 Sedmak, Clemens: „Ethik im Spannungsfeld." In: Dokumentation des 15. Kongresses „Armut und Gesundheit", 4./5. Dezember 2009.
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Genfer_Schema
5 https://www.appinio.com/de/blog/marktforschung/bias-in-der-forschung
6 „Soziale Diskriminierung", S. 87. In: Jubiläumsbericht 2022 der Antidiskriminierungsstelle Steiermark, 2022.
7 Ausführliche Erläuterungen im Beitrag Jubiläumsbericht der Antidiskriminierungsstelle Steiermark, s. 85 ff, 2022.
8 https://www.fes.de/wissen/gender-glossar/care-arbeit
9 Kammer für Arbeiter und Angestellte: Arbeitsbedingungen und Berufsprestige von Beschäfigten in systemrelevanten Berufen in Österreich. Wien, Juni 2020
10 Der Beitrag: „Ungerechter Lohn verschwindet nicht, wenn mehr Frauen programmieren." In die „Zeit" fasst die wesentlichen Aspekte der Debatte zusammen; https://www.zeit.de/arbeit/2018-06/gehaltsunterschiede-frauenberufe-loehne-gender-pay-gap
11 Vgl. ALLGEMEINE BEMERKUNG Nr. 20 Nichtdiskriminierung bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (Artikel 2 Absatz 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) vom AUSSCHUSS FÜR WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE RECHTE, E/C.12/GC/20 vom 02.07.2009