Tausende Türen für Menschen geöffnet, die vor verschlossenen Türen standen: 7380 Anfragen an Antidiskriminierungsstelle Steiermark in 10 Jahren
Graz, Oktober 2023: „Als wir angefangen haben, haben viele gar nicht gewusst, was Diskriminierung bedeutet - das ist heute anders. Dafür werden aber auch die Anfeindungen gegen diese Entwicklung lauter." So fasst Daniela Grabovac, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark (ADS), die ersten zehn Jahre der Beratungsstelle zusammen. Als bundesweit einzige Stelle dieser Art ist sie auch zur Lobby für Menschen geworden, die im Alltag nicht gehört oder übersehen werden. Ein Rückblick im Rahmen der Präsentation des 10-Jahres-Berichts der Antidiskriminierungsstelle Steiermark.
Rund 7000-mal Türen geöffnet
Zwischen 2012 und 2022 hat die Antidiskriminierungsstelle Steiermark 7380 Anfragen erhalten und somit Türen für Menschen geöffnet, die anderswo vor verschlossenen Türen gestanden sind. Daniela Grabovac, seit den Anfangstagen Leiterin der Stelle, betont: „Die Türen stehen allen offen, die Diskriminierung jeglicher Art im öffentlichen, privaten oder beruflichen Bereich erfahren haben und nicht wussten, wohin sie sich wenden können."
Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle Steiermark beginnt demnach häufig da, wo sie für andere mit einem „Da kann man halt nichts machen" endet. Darum ist es auch zentrales Ziel des ADS-Teams, bedenkliche Entwicklungen in der Gesellschaft aufzuzeigen und damit präventiv potenziellen Diskriminierungen entgegenzuwirken.
2012 bis 2022 in Zahlen
7380 | Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle Steiermark | |
6177 | bearbeitete Fälle über die ADS | |
13.450 | gemeldete Hass-Postings seit Einführung der App „BanHate" (2017) | |
386 | Workshops mit 7245 Teilnehmer*innen | |
62 | Stellungnahmen zu aktuellen (juristischen) Fällen | |
1910 | Erwähnungen in der Presse |
Asyl, Arbeit, Wohnen, Pandemie: Andere Jahre, andere Anliegen
Die Art der Anliegen hat sich über die Jahre verändert. Neben Diskriminierung im öffentlichen Raum (Öffis, Einkauf etc.) meldeten sich im Laufe der Zeit immer mehr Menschen, die Diskriminierung in den Bereichen Arbeit und Wohnen erfahren haben. Diese Anliegen können existenzielle Bedrohungen darstellen, da der Zugang zu Arbeit und Wohnraum grundlegend für das Leben der Betroffenen ist. Bei der Anzahl der Fälle pro Jahr stechen jedoch 2016 (als Folge der hohen Asylzahlen) und die „Pandemiejahre" 2020 und 2021 noch einmal heraus.
Errungenschaften und Präzedenzfälle
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark kann auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken, die gemeinsam mit Klient*innen erreicht wurden:
- „Zehn Jahre lang thematisierten wir die vorherrschende Altersdiskriminierung bei vielen Bank- und Kreditgeschäften - jetzt hat die Bundesregierung gesetzlich darauf reagiert", freut sich Grabovac.
- Weiterer Erfolg: Aufhebung des Blutspendeverbots für homosexuelle Männer
- Empfehlungen zum Handlungsbedarf zum Thema Hate crimes in der Polizeiarbeit wurde seitens des BMI umgesetzt
- Präzedenzfall Staatenlosigkeit: von Herrn Scheucher, der gegen seine Staatenlosigkeit gemeinsam mit der ADS kämpfte und vor dem Verwaltungsgerichtshof gewann.
- Gerichts- und Gleichbehandlungskommissionsfall: Unterstützung von Frau A., die wegen ihres Kopftuchs aus einem Geschäft verscheucht wurde. Ihre Beschwerde landete vor der Gleichbehandlungskommission und danach vor Gericht und trug zur Sensibilisierung bei.
Großer Zuspruch bei BanHate
Als „Erfolg", wenn auch aus traurigem Anlass, darf die Einführung der App BanHate gewertet werden. Diese wurde 2017 von der Antidiskriminierungsstelle Steiermark eingeführt (und seither betreut), um Hasspostings und Diskriminierung im Internet zu melden und besser ahnden zu können. Über 13.450 Postings wurden von 2017 bis 2022 gemeldet, wobei mehr als die Hälfte dieser Fälle aktiv verfolgt wurde.
Bewusstsein für Diskriminierung
Gründungsidee war es auch, das Aufstehen gegen Ausgrenzung salonfähig zu machen. Mehrere Tausend Menschen, darunter prominente Künstler*innen und Musiker*innen, zeigten in den letzten Jahren ihr „Gesicht gegen Diskriminierung" - eine erfolgreiche Aktion der Antidiskriminierungsstelle. Durch jahrelange Sensibilisierungsarbeit (fast 2000 Mal wurden Grabovac und ihr Team als Expert*innen zu den Themen Diskriminierung, Rassismus und Extremismus befragt) sei das Bewusstsein für Diskriminierung in der Gesellschaft gestiegen. Allerdings schlägt das Pendel laut Grabovac nun auch in die Gegenrichtung aus: „Es hat sich auch der Ton verschärft, da Anfeindungen gegen diejenigen, die sich gegen Diskriminierung, Hass und Hetze aufstehen, zunehmen."
Herausforderungen für die Zukunft
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark sieht sich in den kommenden Jahren mit neuen Herausforderungen konfrontiert, darunter die steigende digitale Diskriminierung und soziale Diskriminierung. Die Umstellung auf digitale Medien kann insbesondere ältere Menschen und Menschen mit bestimmten Einschränkungen benachteiligen. Die soziale Diskriminierung, sei es bei der Wohnungssuche oder im Bildungssystem, erfordert verstärktes Engagement.
Landesrätin Doris Kampus (Bildung, Soziales und Integration):
„Mit diesem umfangreichen Jahresbericht 2022 haben wir auch die Möglichkeit, auf zehn Jahre Antidiskriminierungsstelle Steiermark zurückzublicken. Das Bewusstsein für Diskriminierung hat sich dank der AD-Stelle und vieler Aktionen in diesem Zeitraum sicher verbessert, dennoch bleibt noch immer viel zu tun. Denn es zeigt sich, dass jede und jeder zum Opfer von Diskriminierung werden kann, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder sozialer Situation. Darauf kann es aus meiner Sicht als Soziallandesrätin nur eine Antwort geben: Wir dürfen Diskriminierung niemals zulassen. Wir müssen konsequent und gemeinsam gegen alle Formen ankämpfen und den Betroffenen mit Rat und Tat solidarisch zur Seite stehen."
Stadtrat Robert Krotzer (Gesundheit, Pflege und Integration):
„Ein Jubiläum, das Anlass zu Freude und zum Nachdenken zugleich ist. Zum Nachdenken, weil es uns als Gesellschaft offensichtlich immer noch nicht zur Gänze gelingt, wahre Gleichbehandlung und Gleichstellung zu leben. Weil der Antidiskriminierungsstelle die Arbeit nicht ausgeht, sondern sich die Zahl der gemeldeten Diskriminierungsfälle sogar gesteigert hat. Ethnische Diskriminierung und Rassismus sind immer noch in unserer Gesellschaft verhaftet, Ungleichheit in sozialer Hinsicht verschärft sich aktuell nicht zuletzt aufgrund der Teuerung. Toleranz, Akzeptanz und Respekt für alle Menschen unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung sind in zu vielen Fällen nicht voll vorhanden. Mein Dank gilt den Mitarbeiter:innen der Antidiskriminierungsstelle, die unermüdlich für mehr Bewusstsein, mehr Sensibilität, mehr Toleranz und mehr Gleichheit kämpfen. Arbeiten wir gemeinsam an diesen Zielen."
Enrique Fuentes (Künstler, Gestalter des Sujets der Kampagne „Kunst und Sport gegen Rassismus"):
„Es ist mir ein besonderes Anliegen, das Bewusstsein gegen Diskriminierung zu erhöhen und zu stärken. Deswegen habe ich mit meinem eigens dafür kreierten Kunstwerk die Möglichkeit unterstützt, den Blick für diese Themen zu schärfen. Der im Rahmen des Projekts „Kunst und Sport gegen Rassismus" verwendete Flügel ist für mich unter anderem ein Symbol für Freiheit, für sich ‚wohin Begeben' und des wieder ‚Ankommens', aber auch ein Symbol des Reifwerdens, des Erfüllens seiner Träume. Einen gestärkten Flügel bringt man aus seiner Heimat, aus seiner Kultur, aus seiner Geschichte mit - aber den zweiten Flügel, den man benötigt, um fliegen zu können, der wird dort gestärkt, wo man lebt, wo man seine Umgebung hat. Und um fliegen zu können, benötigt man zwei Flügel - zwei starke Flügel, um sich wohl zu fühlen, um seine Träume verwirklichen zu können, um sich angekommen zu fühlen und um sich zu Hause zu fühlen."