Stellungnahme zur Impfproblematik in Österreich
Anlässlich der seit 15. November geltenden Neuregelung der Corona-Maßnahmen¹ erlaubt sich die Antidiskriminierungsstelle Steiermark im Folgenden eine Stellungnahme zum Thema Impfpflicht und zum Stufenplan - insbesondere zum Lockdown für ungeimpfte Personen - für die Bekämpfung der Corona-Pandemie abzugeben.
Seit März 2020 nehmen wir viele Einschränkungen auf uns, um gemeinsam die Pandemie in die Schranken zu weisen. Vieles, was uns vor zwei Jahren noch unvorstellbar erschien, ist nicht nur eingetreten, sondern zum Bestandteil unseres Alltagslebens geworden. Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic meinte schon zum Jahr 2020, es sei ein „desaströses Jahr für Europa" gewesen, da eine Aushöhlung des demokratischen Gefüges und somit auch der Menschenrechte stattgefunden habe. Die Pandemie habe bestehende Probleme verstärkt und mit tragischer Klarheit die zahlreichen und wachsenden Ungleichheiten in unseren Ländern aufgezeigt.²
Konstellationen wie die weltweite rasche Verbreitung einer hoch ansteckenden Erkrankung mit einer relativ hohen Letalität, bringen oft Situationen eines Staatsnotstandes hervor, in denen Effekte des Vordringens der Exekutive vor der Legislative, der Regierenden vor den Parlamenten zu beobachten sind. Um hier auch in solchen Notsituationen rasch handlungsfähige Instrumente zur Bewältigung der Krise zu statuieren, sind in vielen Verfassungen Notstandsklauseln implementiert: so auch in Österreich durch Art. 18 Abs. 1-3 BVG, Art. 97 Abs. 3-4 BVG aber auch Art. 15 EMRK, die im Bundesverfassungsrang steht. In Österreich wurde jedoch bis dato der Weg eingeschlagen, diese Krisensituation legistisch durch gewöhnliche Instrumente der Rechtssetzung zu lösen.³ Dieses Vorgehen ist jedoch in jedem Fall kritisch zu hinterfragen. Die Maßnahmen der Regierung wurden und werden nun im Nachhinein durch den Verfassungsgerichtshof überprüft.⁴
In einer Ausnahmesituation wie in einer Pandemie sind wir alle gefordert, soweit wir können unseren Beitrag zu leisten und sinnvolle Maßnahmen mitzutragen und umzusetzen. Verloren gegangen ist uns ein moderater Umgangston und eine Offenheit gegenüber anders Denkenden, anderen Meinungen und anderen Wahrnehmungen. Die Gesellschaft spaltet sich in zwei Lager auf und dies wird von der Regierung mit den entsprechenden Maßnahmen noch befeuert.
Frontenbildung – MNS oder FFP2?
Mittlerweile kann vermutlich jede*r Österreicher*in nicht nur den Unterschied zwischen einem einfachen Mund-Nasen-Schutz und einer FFP2-Maske erklären, sondern auch ihre Anwendung ist uns gänzlich vertraut. Der Mund-Nasen-Schutz polarisierte die Meinungen der Österreicher*innen, es bildeten sich zwei Lager und die Fronten verhärteten sich im weiteren Verlauf der Pandemie bzw. der Pandemiebekämpfung. In diesem Zusammenhang wurden der Antidiskriminierungsstelle Steiermark wiederholt Fälle gemeldet, wobei Menschen trotz ärztlich attestierter Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit lautstark belehrt und beschimpft wurden. Dabei ging es nicht immer nur um die mittlerweile medial bekannten Fälle von Asthmatiker*innen und COPD-Erkrankten, sondern es meldeten sich auch Personen, die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung keine Maske tragen können. Ebenso oft vergessen wird, dass es sich um eine prekäre Situation für gehörlose Menschen handelt, die auf Grund der von vielen getragenen Maske und der damit einhergehenden fehlenden Möglichkeit des Lippenlesens in ihrer Kommunikation noch stärker eingeschränkt sind.
Das Recht auf Gesundheit beinhaltet eine aktive Schutzpflicht des Staates.⁵ Umgelegt auf die Corona-Pandemie bedeutet das, dass jeder*m ein Impfstoff zur Verfügung gestellt werden soll, wenn sich die Person impfen lassen möchte. Auf Anraten des Europarates⁶ sollen die Mitgliedsstaaten ihre Bürger*innen darüber informieren, dass eine Impfung keinesfalls verpflichtend ist und niemand politisch, sozial oder auf andere Art und Weise unter Druck gesetzt werden soll, sich impfen zu lassen. Es sei unbedingt notwendig - im Hinblick auf die Akzeptanz des Impfstoffes - jeglicher Form der Diskriminierung sämtlicher Bürger*innen, die sich aufgrund bestehender Gesundheitsrisiken nicht impfen lassen können oder wollen, zu unterbinden.
Die Gruppe der ungeimpften Personen ist nicht homogen, sondern setzt sich aus verschiedenen Personengruppen zusammen: Allergiker*innen und vorerkrankten Personen, die sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung keiner Impfung unterziehen können oder wollen. Andere lehnen die Impfung aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen ab, beispielsweise stellt es für manche Veganer*innen einen moralischen Konflikt dar, eine Impfung, die auch an Tieren erprobt werden muss, verabreicht zu bekommen.⁷ Unentschlossene Mitbürger*innen, die bisher noch nicht davon überzeugt sind, ob und in welcher Form ein Impfstoff einer Lösung ihrer individuellen Pandemiesituation zuträglich ist.
Per se ist der Status „ungeimpft zu sein" kein rechtlich geschützter Diskriminierungsgrund. Sehr wohl kann es jedoch Personengruppen treffen, wie Menschen mit Behinderungen, bei denen aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung eine Impfung nicht ratsam ist oder Personen aufgrund ihres religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses.
Da diese Diskriminierungsgründe in Österreich nur im Arbeitsleben nach dem II. Teil des Gleichbehandlungsgesetzes geschützt werden, sind die Ausführungen dazu analog zu verstehen.
Eine Diskriminierung nach der Weltanschauung kann bei nicht geimpften Personen in eventu vorliegen, wenn unter einer geschützten Weltanschauung nur Überzeugungen zu verstehen sind, die ein gewisses Ausmaß an Verbindlichkeit, Ernsthaftigkeit, Kohärenz und Bedeutung erreichen und der Anforderung einer zusammenhangenden Sichtweise grundlegender Fragen entsprechen. Die Überzeugung muss auch eine Manifestation durch Lehren oder Praxis aufweisen. Demgegenüber sind Meinungen oder einzelne Überzeugungen nicht unter den Begriff „Weltanschauung" iSd Art. 9 EMRK zu sehen. Der EGMR versteht unter Art. 9 EMRK etwa Pazifismus oder Atheismus als philosophische Einstellungen. Die Verweigerung einer Impfung betrifft in aller Regel jedoch lediglich eine Einzelmeinung zur Notwendigkeit und Wirksamkeit von Schutzimpfungen, die von anderen Lebensfragen losgelöst ist, sodass die Frage nach dem Impfstatus bei einer Neueinstellung im Regelfall daher keine Weltanschauung nach Art. 9 EMRK betrifft.⁸
Eine Diskriminierung einer nicht geimpften Person bei der Arbeitseinstellung/Kündigung kann unter Umständen die Ausübung der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK (bzw das Recht auf Religionsfreiheit nach Art. 14 StGG) berühren. Manche Religionsgemeinschaften lehnen Impfungen aus unterschiedlichen Gründen ab (gewonnene Impfstoffe verwenden als Trägersubstanz zB tierische Bestandteile usw.). In Österreich gibt es nur einen sehr minimalen Teil der Bevölkerung, die aus religiösen Gründen eine Impfung ablehnen würden.
Schlussendlich ist zur Frage der Diskriminierung von nicht geimpften Personen die Resolution des Europarates vom 27.01.2021 2361(2021)⁹ zu beachten, die jedoch nicht rechtsverbindlich ist. In dieser Resolution heißt es ua.:
"......Die Versammlung fordert deshalb die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachdrücklich auf, im Hinblick auf die Gewährleistung einer hohen Akzeptanz der Impfstoffe
7.3.1. dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber aufgeklärt sind, dass die Impfung NICHT verpflichtend ist und niemand politisch, sozial oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er oder sie dies nicht möchte;
7.3.2. dafür zu sorgen, dass Personen, die nicht geimpft sind, weil dies aufgrund möglicher Gesundheitsrisiken nicht möglich ist oder die betreffende Person dies nicht möchte, nicht diskriminiert werden.
Fake News und Verschwörungserzählungen
Rund um das Corona-Thema und die Covid-Impfungen kursieren unzählige Verschwörungserzählungen in den sozialen Netzwerken, die zwar auf den ersten Blick unterhaltsam klingen, aber einerseits das Risiko bergen, die Gefährlichkeit einer COVID-19-Erkrankung herunterzuspielen¹⁰ sowie andererseits das Vertrauen der Bevölkerung in Medien und staatliche Organisationen zu schwächen. Wird beispielsweise einem Gerücht Glauben geschenkt, demnach Wahlen nicht rechtmäßig zustande gekommen wären, geht damit auch ein Vertrauensverlust in die Demokratie und in die Arbeit der Regierung einher.¹¹
Über die BanHate-App¹² werden bei der Antidiskriminierungsstelle Steiermark seit Beginn der Pandemie unzählige Hasspostings und Fake News im Zusammenhang mit den Corona-Impfungen gemeldet.¹³ Neben Vergleichen mit dem Medikament Contargan und Chipimplantaten, die bei der Impfung eingesetzt würden, wird von der Verschwörungsszene auch vor antisemitischen Erzählungen nicht zurückgeschreckt. Der Vergleich der Unterdrückung, Verfolgung oder Ermordung von Jüd*innen mit der jetzigen COVID-19-Pandemie und den von der Regierung erlassenen Maßnahmen ist unserer Ansicht nach absolut geschmacklos und moralisch verwerflich.
Impfpflicht und EGMR
In Tschechien sind Impfungen für Kinder vorgeschrieben, bei einem Verstoß droht den Erziehungsberechtigten eine Geldstrafe und die Kinder werden vom Besuch des Kindergartens ausgeschlossen. Im Zuge einer Beschwerde von betroffenen Kindern bzw. deren Erziehungsberechtigten an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)¹⁴, kam dieser zu dem Schluss, dass die tschechische Impfpflicht bzw. die Immunisierung von Kindern vor gefährlichen Krankheiten, gegen die bereits effektive Impfungen bestehen und die nur mit einem minimalen Risiko einhergehen, jedenfalls dem Wohl des Kindes iSd Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention dienen, da diese gegen schwere Krankheiten durch die Impfung bzw. durch eine Herdenimmunität geschützt werden. Somit liege hier keine Verletzung des Art. 8 EMRK vor,¹⁵ da durch die Impfung jener Kinder, welche dadurch nur einem minimalen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind, andere Kinder, bei denen sowohl eine Impfung als auch die Krankheit, vor der sie schützen soll, gravierende Folgen hätte, mitgeschützt werden. Die Impfung eines Einzelnen diene somit den Interessen der Kinder als Gruppe. Daraus lässt sich schließen, dass eine gesetzliche Regelung zur Impfpflicht mit dem Konventionsrecht zu vereinbaren wäre, sofern Ausnahmetatbestände berücksichtigt, für den Fall der Nichtbefolgung Verwaltungsstrafen und keine zwangsweise Impfung vorgesehen sowie eine effektive Beschwerdemöglichkeit eingeräumt wird.¹⁶
Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte
Die Kluft zwischen den geteilten Lagern - den bereits Geimpften und den (noch) nicht Geimpften sowie den Impfgegner*innen - vergrößert sich und statt dass ein Versuch unternommen wird, die gesellschaftliche Mitte zu stärken und ein Abgehen von Extrempositionen einzumahnen, wurden nun weitere Maßnahmen angekündigt, die unsere Gesellschaft noch weiter auseinanderreißen: Laut Stufe 6 des Stufen-Plans für die Bekämpfung der Corona-Pandemie¹⁷ soll nach Überschreitung von 30% der Belegung von Intensivbetten (Stückzahl 600) eine Ausgangsbeschränkung ausschließlich für Ungeimpfte in Kraft treten.¹⁸ Bundeskanzler Schallenberg fordert einen Lockdown für Ungeimpfte ab Montag.¹⁹
Aus diesem Anlass möchten wir in Erinnerung rufen, dass die Schutzfunktion des Staates und somit auch die von der Regierung erlassenen Verordnungen auf grund- und menschenrechtlichen Normen aufbauen. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)²⁰ und auch die Europäische Grundrechtecharta (GRC)²¹ sowie das Staatsgrundgesetz (StGG)²² sind fundamentale Grundlagen unseres demokratischen Staates bzw. unseres demokratischen Zusammenlebens. Es ist nicht die Aufgabe der Menschenrechte eine „unbeschränkte egoistische Individualität" zu sichern, weshalb diese Rechte auch nicht jeder*m jederzeit uneingeschränkt zustehen, sondern es ist deren Anspruch, einen Ausgleich zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohl und den individuellen persönlichen Freiheiten zu schaffen. Daher stellt ein Eingriff in ein Menschenrecht nicht in jedem Fall eine Menschenrechtsverletzung dar.²³ Absolut geschützt ist der Kern der Menschenrechte, weshalb ein Eingriff in das Mindestmaß an Menschenwürde jeder*jedes einzelnen jedenfalls unzulässig ist. Beispielsweise wäre eine totale Überwachung und Erforschung intimster Lebensbereiche völlig untragbar (Datenschutz),²⁴ weshalb die Auswertung von Mobilfunkdaten kein möglicher Lösungsansatz zur Überprüfung der Ausbreitung des Covid-19-Virus darstellt.
Eine Ausgangsbeschränkung bedeutet, dass der öffentliche Raum ohne Angabe von rechtfertigenden Ausnahmegründen, nicht mehr betreten werden darf, wonach das Verlassen des Hauptwohnsitzes stark limitiert und von Erlaubnistatbeständen abhängig gemacht wird.²⁵ Dabei wird nicht nur in das Recht auf persönliche Freizügigkeit (Art. 2 Abs. 1 4.Zusatzprotokoll zur EMRK), das Recht sich in einem (Staats-)Gebiet frei zu bewegen und Aufenthalt zu nehmen, sondern in eine Vielzahl von Menschenrechten eingegriffen: Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit bzw. Demonstrationsrecht, Kunstfreiheit, unternehmerische Freiheit, Recht auf Eigentum (Nutzung von Zweitwohnungen und Ferienhäusern), Recht auf Bildung (Schließung von Schulen und Universitäten).²⁶ Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geht bei der Verordnung von Hausarrest von einer Beschränkung der persönlichen Freiheit iSd Art. 5 EMRK aus.²⁷ Umgelegt auf die derzeit vorherrschende Pandemie, bedeutet das, dass durch jede individuelle Quarantänemaßnahme jedenfalls ein Eingriff in die persönliche Freizügigkeit vorgenommen wird.²⁸
Sofern durch eine Ausgangsbeschränkung nachweislich die Ausbreitung des Coronavirus durch eine insgesamt geringere Anzahl an Menschen im öffentlichen Raum besser gewährleistet ist, da hiermit ebenfalls eine einfachere staatliche Kontrolle der Einhaltung dieser Regelungen einhergeht, kann diese virologisch sinnvolle Maßnahme in einer absoluten Ausnahmesituation für einen zeitlich streng begrenzten Zeitraum sinnvoll sein. Allerdings muss bei einer derart drastischen Maßnahme mitgedacht werden, dass diese Einschränkung je nach sozialem Status, Alter und Geschlecht eine unterschiedliche Auswirkung auf die jeweilige Lebensrealität entfaltet. Während das für die einen die vorübergehende Unmöglichkeit der Nutzung ihres Zweitwohnsitzes bedeutet, gilt es in anderen Familien Homeoffice und Homeschooling auf kleinstem Lebensraum mit nur begrenzten technischen Mitteln zu koordinieren.
Um dem massiven Eingriff einer generellen Ausgangsbeschränkung abzumildern, wäre ein Kontaktverbot, zwar ebenfalls ein Eingriff in das Recht auf Familien- und Privatleben, als gelinderes Mittel vorzuziehen, wonach das Betreten des öffentlichen Raumes nicht pauschal untersagt und somit die persönliche Freiheit bzw. Freizügigkeit als solche nicht eingeschränkt wird. Damit würde nicht bereits der bloße Aufenthalt im öffentlichen Raum, sondern erst die Ansammlung von mehreren Personen den Anknüpfungsmoment für staatliche Maßnahmen darstellen.²⁹
Die Ausgangsbeschränkungen ausschließlich auf ungeimpfte Personen bzw. auf eine vulnerable Gruppe (biologisches Alter, Vorerkrankungen, Impfstatus) zu begrenzen ist eine diskriminierende Vorgehensweise, die aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle Steiermark im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz nach Art. 7 B-VG³⁰ steht. Die sachliche Rechtfertigung zur Ungleichbehandlung von Staatsbürger*innen soll in der ungleichen Verlaufskurve des Coronavirus liegen,³¹ weshalb hier der jeweilige Impfstatus als alleiniges Merkmal herausgegriffen wird, ohne dabei das individuelle Risikoverhalten und die entsprechenden konkreten Risikovoraussetzungen (beispielsweise die Anzahl an gebildeten oder nicht gebildeten Antikörpern oder ein entsprechend aktuelles Coronatestergebnis) zu berücksichtigen.³²
Diese Gruppe wird komplett aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Eine sachliche Rechtfertigung durch die Angabe der Belegung der Intensivbetten muss durch den Verfassungsgerichtshof geprüft werden, ob dies auch verhältnismäßig ist - aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle Steiermark ist jedoch solch ein Eingriff in die persönliche Freiheit ( Art. 5 EMRK; BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit) für eine bestimmte Gruppe von Menschen, hier die der Ungeimpften, nur rechtfertigbar, wenn ein Notstand vorliegt (bei 61% Impfquote - verbleiben 39% ungeimpfte Menschen - die nach jetzigem Stand ein Risiko der Hospitalisierung darstellen). Unseres Erachtens stellt diese Maßnahme keinen gerechten Ausgleich zwischen konfligierenden Interessen dar, da gerade die Verwehrung des Zugangs zum öffentlichen Leben eine massive Einschränkung bedeutet.
Es sollte gerade vor dem Hintergrund der Vermeidung der gesellschaftlichen Spaltung und Ausschließen einer gesamten Bevölkerungsgruppe über Alternativen nachgedacht werden, denn warum die 3G-Regel mit entsprechendem Testnachweis nicht mehr Anwendung finden soll, bleibt offen.
Der Verfassungsrechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk stellt ebenso einen Lockdown für Ungeimpfte in Frage. Aufgrund der schweren Überwachbarkeit der Maßnahmen kommen Zweifel auf, ob dieser Lockdown verhältnismäßig und damit verfassungskonform sei.³³
2 – G oder 3-G?
Offen bleibt, weshalb die bisherige 3G-Regel nunmehr keine weitere Anwendung finden soll. Laut den aktuellen Maßnahmen sind nunmehr körpernahe Dienstleistungen, Gastronomie, Nachtgastronomie, Weihnachtsmärkte, Hotellerie, Theater, Kinos, Oper, Sport und Freizeiteinrichtungen nur noch für geimpfte und genesene Personen zugänglich.³⁴ Der Ausschluss von ungeimpften Personen von der Teilnahme am öffentlichen Leben ist insofern sachlich nicht gerechtfertigt, als dass von einer negativ (PCR) getesteten Person kein höheres Ansteckungsrisiko als von einer geimpften oder genesenen, aber nicht getesteten Person ausgeht. Auch wenn die Anzahl der Covid-Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt durch eine höhere Durchimpfungsquote sinkt, müssen die immer häufiger auftretenden Impfdurchbrüche³⁵ jedoch auch beachtet werden.³⁶ Eine derartig diskriminierende Maßnahme zu erlassen, die in viele verschiedene Lebensbereiche eingreift, ist im Hinblick auf unsere gesamtgesellschaftliche Situation höchst bedenklich.
Fazit
Mit Blick auf das Allgemeinwohl und die mit der Ausbreitung des COVID-19-Virus verbundenen potenziellen sowie realen Gefahren für Dritte wird die grundsätzliche Freiheit zur Selbstgefährdung und zu risikobehaftetem Verhalten in vielen Bereichen in den Hintergrund gestellt, wobei wir uns aber davor in Acht nehmen müssen, die jeweiligen Persönlichkeitsrechte nicht zu sehr zurückzudrängen und eine Meinungsvielfalt weiter zuzulassen.
Denn „Die Grund- und Menschenrechte gelten nicht lediglich `auch` in Krisenzeiten, sie gelten gerade dann!"³⁷
Es liegt an uns allen, die Tür zu jenen Mitmenschen, die in ihren Extrempositionen verharren, nicht zu schließen, sondern ihnen die Hand zu reichen und uns allen einen Konsens der gesellschaftlichen Mitte zu ermöglichen.
Fußnoten
1 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 5. COVID-19 - Schutzmaßnahmenverordnung (5. COVID-19-SchuMaV) https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus-Rechtliches.html (abgerufen am 15.11.2021).
2 ZDF, Europarat schlägt Alarm, 21.04.2021, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/europarat-jahresbericht-2020-menschenrechte-100.html (zuletzt abgerufen am 15.11.2021).
3 https://www.uibk.ac.at/oeffentliches-recht/100-jahre-b-vg/corona-und-verfassung.html (abgerufen am 28.10.2021).
4 Verfassungsgerichtshof Österreich, ausgewählte Entscheidungen 2021, https://www.vfgh.gv.at/rechtsprechung/Ausgewaehlte_Entscheidungen.de.html (abgerufen am 28.10.2021)
5 EGMR vom 20.03.2008, Budayeva u.a. gegen Russland, Beschw 15339/02 Beschw. 21166/02, 20058/02, Beschw, 11673/02, Beschw. 115343/02; EGMR vom 30.11.2004, Öneryildiz gegen die Türkei, Beschw. 48939/99.
6 Europarat, Resolution 2361/2021 vom 27.01.2021, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_01364/fnameorig_887268.html (abgerufen am 14.11.2021).
7 PETA, Corona-Faktencheck für Tierfreunde, https://www.peta.de/kampagnen/corona/ (abgerufen am 15.11.2021).
8 Hainz, Impfstatus im Arbeitsverhältnis, ecolex 2021/189, https://f.datasrvr.com/fr1/121/81104/ecolex_2021_189__Impfstatus_im_Arbeitsverh%C3%A4ltnis_(Bernhard_Hainz)__RDB_Rechtsdatenbank.pdf (abgerufen am 15.11.2021).
9 Europarat, Resolution 2361/2021 vom 27.01.2021, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_01364/fnameorig_887268.html (abgerufen am 14.11.2021).
10 Merlot, Spiegel (20.03.2020), Die gefährliche Falschinformation des Wolfgang Wodarg, ttps://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-die-gefaehrlichen-falschinformationen-des-wolfgang-wodarg-a-f74bc73b-aac5-469e-a4e4-2ebe7aa6c270 (abgerufen am 15.11.2021).
11 Nocun/Lamberty, Fake Facts (2020), Kapitel 8, 177 f.
12 https://www.banhate.com/.
13 Next, Verschwörungsmythen und Fake News, 07.01.2021, https://www.next.steiermark.at/cms/beitrag/12811180/161733886 (abgerufen am 28.10.2021).
14 EGMR Urteil vom 08.04.2021, AZ 47621/13 u.a.
15 Mdr, EGMR hält Impfpflicht für zulässig, 08.04.2021, https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/eu-urteil-impfpflicht-tschechien-egmr-100.html (abgerufen am 15.11.2021).
16 Juwiss, Impfen ist (k)eine Privatsache, https://www.juwiss.de/33-2021/ (abgerufen am 15.11.2021).
17 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus-Aktuelle-Ma%C3%9Fnahmen.html (abgerufen am 15.11.2021).
18 DerStandard, „Lockdown für Ungeimpfte": Das ist der Stufen-Plan der Regierung, 22.10.2021, https://www.derstandard.at/story/2000130664530/stufen-der-pandemie-welche-schritte-zur-bekaempfung-gesetzt-werden, (abgerufen am 11.11.2021).
19 Orf, https://orf.at/newsroom/segment/15033884 (abgerufen am 12.11.2021).
20 Europäische Menschenrechtskonvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl 210/1958 idgF; die EMRK und das 1. Zusatzprotokoll sind gemäß BVG, BGBl 59/1964 mit Verfassungsrang ausgestattet.
21 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl 2016 C 202, 389, berichtigt durch ABl 2016 C 400,1.
22 Staatsgrundgesetz vom 21.12.1967 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger*innen, RGBl 142/1867.
23 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 11, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).
24 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 12, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).
25 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 8, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).
26 Oberleitner, Die menschenrechtliche Dimension, 14.04.2020, https://rewi.uni-graz.at/de/neuigkeiten/detail/article/die-menschenrechtliche-dimension/ (abgerufen am 08.11.2021).
27 EGMR, 02.08.2001, application no. 44955/98 (Mancini v. Italy); 28.11.2002, application no. 58442/00 (Lavents v. Latvia).
28 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 9, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).
29 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 19, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).
30 Art. 7 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl 1/1930 idgF.
31 AGES, https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ (abgerufen am 15.11.2021).
32 Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle vom 17.08.2021 zur andauernden COVID-19-Pandemie, https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12791784/159326562 (abgerufen am 15.11.2021).
33 DerStandard, Verfassungsjuristische Zweifel am Lockdown für Ungeimpfte, https://www.derstandard.at/story/2000131092107/verfassungsjuristische-zweifel-am-lockdown-fuer-ungeimpfte (abgerufen am 11.11.2021).
34 Coronavirus - Aktuelle Maßnahmen, https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus-Aktuelle-Ma%C3%9Fnahmen.html (abgerufen am 08.11.2021).
35 Studie „The impact of SARS-CoV-2 vaccination on Alpha & Delta variant", 29.09.2021, https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.09.28.21264260v1.full.pdf (abgerufen am 15.11.2021).
36 AGES, https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ (abgerufen am 15.11.2021).
37 Fremuth, „Coronavirus und Menschenrechte" Die Bekämpfung des Coronavirus - Menschenrechtliche Grundlagen und Grenzen, Universität Wien 2020, 1, https://bim.lbg.ac.at/sites/files/bim/attachments/bim_fremuth_bekampfung_des_coronavirus_und_menschenrechte-final.pdf (abgerufen am 28.10.2021).