Stellungnahme Staatsbürgerschaft
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark erlaubt sich im wichtigen Diskurs über die Erlangung sowie den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, insbesondere zur Thematik der Doppelstaatsbürgerschaften Stellung zu nehmen und Informationen sowie Argumente und Lösungsansätze darzulegen.¹
Zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft allgemein
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten eine österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen:
1. Erwerb durch Abstammung (§7 StbG)
Die Staatsbürgerschaft wird in diesem Fall mit dem Zeitpunkt der Geburt erworben, wenn die Mutter österreichische Staatsbürgerin ist, die Eltern verheiratet sind und der Vater österreichischer Staatsbürger ist, oder auch, wenn die Eltern nicht verheiratet sind, der Vater selbst österreichischer Staatsbürger ist, die Mutter Staatsangehörige eines anderen Staates ist und der Vater innerhalb von acht Wochen nach der Geburt die Vaterschaft anerkennt, oder sie gerichtlich festgestellt wird.
2. Erwerb durch Verleihung (§10 StbG)
Beim Erwerb durch Verleihung gibt es wieder grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten. Zum einen gibt es die Verleihung aufgrund eines Rechtsanspruches und zum anderen erfolgt sie durch Ermessen der zuständigen Behörden, wobei allgemeine Einbürgerungsvoraussetzungen existieren, die (fast) in jedem Fall erfüllt sein müssen. Zu diesen Voraussetzungen zählt beispielsweise ein mindestens zehnjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich (mit mindestens fünfjähriger Niederlassungsbewilligung). Ebenso zählen die Unbescholtenheit, ein hinreichend gesicherter Lebensunterhalt und auch Deutschkenntnisse und Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung zu der aufgrund des Umfanges hier nicht vollständig angeführten Liste an Voraussetzungen.
1975 ratifizierte Österreich das Übereinkommen „Über die Verminderung der Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit". Auf dem diesem Europarats-Übereinkommen zugrundeliegenden Prinzip beruht nach wie vor die österreichische Staatsbürgerschaftspolitik. Seit 1975 hat sich jedoch vieles geändert. Die Mobilität nimmt zu, Staatsgrenzen werden überquert, das Land des Lebensmittelpunktes wird gewechselt. Die Menschen sind in Bewegung. Immer mehr arbeiten nicht, studieren nicht, wohnen nicht, lieben nicht und sterben nicht in demselben Land, in dem sie geboren wurden. Dementsprechend steigt die Anzahl der Personen, die in einem Land leben, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen. Die Problematik dahinter mag für manche nicht unmittelbar erkennbar sein. Dies ist zumeist darauf zurückzuführen, dass man erst dann merkt, was es bedeutet eine Staatsbürgerschaft zu haben, wenn man sie nicht hat. Staatsbürger*in eines Landes zu sein, bedeutet nämlich mit dem größtmöglichen Repertoire an Rechten ausgestattet zu sein. Es bedeutet eine uneingeschränkte Aufenthaltsberechtigung. Es bedeutet uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Es bedeutet ein Recht auf Sozialleistungen. Es bedeutet, das aktive sowie das passive Wahlrecht zu haben, was wiederum die Möglichkeit bietet politisch mitzubestimmen zu können. Mitzubestimmen in welche Richtung das Land sich bewegt. Es bedeutet an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen zu können. Es bedeutet, Teil des Volks zu sein, von dem das Recht aus geht. Es bedeutet ein vollständig anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Umgekehrt bedeutet nicht die Staatsbürgerschaft des Landes zu haben, in dem man seinen Lebensmittelpunkt hat, dass man all das nicht hat und ist.
Die Europäische Union hat sich maßgeblich bemüht, EU-Bürger*innen mit gleichen Rechten auszustatten. Etwa kommt EU-Bürger*innen das Recht zu, sich frei innerhalb der EU zu bewegen und aufzuhalten. Der Arbeitsmarkt anderer EU-Staaten ist ebenso für alle EU-Bürger*innen zugänglich. Jedoch kann der Zugang zu Sozialleistungen eingeschränkt sein. Und das Recht auf politische Partizipation ist jedenfalls eingeschränkt. Das aktive und passive Wahlrecht können EU-Bürger*innen in dem EU-Land, in dem sie ihren Wohnsitz gemeldet haben, nur auf kommunaler Ebene und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahrnehmen. An den Nationalratswahlen, Landtagswahlen oder Bundespräsident*innenwahlen dürfen EU-Bürger*innen auch mit Wohnsitz im Inland nicht teilnehmen. Für Personen mit Staatsbürgerschaft eines sogenannten Drittstaates hat es nochmals weitreichendere Auswirkungen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft zu haben. Nicht-Staatsbürger*innen aus Drittstaaten sehen sich von vornhinein mit einem eingeschränkten Recht auf den Aufenthalt in Österreich konfrontiert. Drittstaatsangehörige besitzen mit beinahe allen Aufenthaltstiteln nur ein Recht auf „befristete Niederlassung".² Ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Österreich zu leben, bedeutet für viele Menschen die Unsicherheit darüber, wie lange sie bleiben können. Es bedeutet Unsicherheit darüber, ob beim nächsten Mal die Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird. Es bedeutet die Furcht aus dem Land des Lebensmittelpunktes verwiesen zu werden. Hinzu kommt, dass je nach Aufenthaltstitel der Zugang zum Arbeitsmarkt entweder verwehrt, oder zumindest eingeschränkt sein kann. Neben diesen Unterschieden bleibt das uneingeschränkte Recht zu wählen jedenfalls für alle Nicht-Staatsbürger*innen außer Reichweite. Die vollständige politische Mitbestimmung im Land des Lebensmittelpunktes bleibt in allen Fällen, ob EU-Bürger*in oder Drittstaatsangehörige*r, unzugänglich. In Österreich handelt es sich dabei um 1,1 Millionen Menschen, also um fast 15%, die sich im wahlfähigen Alter befinden aber nicht wählen dürfen. In Wien betrifft das nahezu jeden Dritten.³ Bundesweit sprechen wir hier von ungefähr einem Sechstel der hier lebenden Menschen, das nicht über die politische Richtung im Land mitentscheiden kann. Ungefähr ein Sechstel, das nicht mitreden darf, wenn es um Entscheidungen geht, die sein Leben genauso beeinflussen wie das der anderen fünf Sechstel.
Dieser Missstand ist auf das aus mehreren Gründen als sehr restriktiv geltende Staatsbürgerschaftsgesetz zurückzuführen. Das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz gilt als äußerst restriktiv, weil beispielsweise der Erwerb der Staatsbürgerschaft mit der Geburt ausschließlich nach dem Abstammungsprinzip („ius sanguinis") erfolgt und keine Möglichkeit für das Geburtsortsprinzip („ius soli") eingeräumt wird. Mit der Geburt erwerben nur jene die österreichische Staatsbürgerschaft, deren Mutter österreichische Staatsbürgerin ist, oder deren Vater österreichischer Staatsbürger ist, sofern er mit der Mutter verheiratet ist, oder binnen acht Wochen nach der Geburt die Vaterschaft anerkennt oder sie gerichtlich festgestellt wird. Das Geburtsortsprinzip, nach dem alle auf dem Staatsgebiet geborenen Kinder, die inländische Staatsbürgerschaft erhalten würden, gilt in Österreich nicht. Neben der Möglichkeit die österreichische Staatsbürgerschaft zu „erben", gibt es die Möglichkeit sie verliehen zu bekommen. Dabei ist eine überdurchschnittlich lange Aufenthaltsdauer von im Schnitt 6-10 Jahren Voraussetzung.
Eine der weiteren Voraussetzungen, um die Staatsbürgerschaft zu erwerben, umfasst den hinreichend gesicherten Lebensunterhalt. Näher ausgeführt bedeutet das den „Nachweis fester und regelmäßiger eigener Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten 6 Jahren vor dem Antragszeitpunkt, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen."
Der gesicherte Lebensunterhalt (=erforderliches Mindesteinkommen) wird nach den Richtsätzen gemäß § 293 ASVG berechnet und beträgt für das Jahr 2021:
• für eine Einzelperson: EUR 1.000,48;
• für Ehepaare/eingetragene Partner im gemeinsamen Haushalt: EUR 1.578,36;
• für jedes Kind zusätzlich: EUR 154,37.
Geht man von einer Familie mit einem Kind und einem Erwerbstätigen aus, ergibt sich ein Betrag von EUR 1.428,28 pro Monat. Dieser Betrag setzt sich aus dem oben angeführten Betrag für Ehepaare zuzüglich des Betrages für ein Kind zusammen, abzüglich des Pauschalbetrags von EUR 304,45.⁴
Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft per Verleihung ist zusätzlich mit hohen Kosten verbunden und es ist eine hohe finanzielle Sicherheit nachzuweisen, um Anspruch auf die Staatsbürgerschaft zu haben. Des Weiteren muss man in einem sehr strengen Sinn unbescholten sein. Verwaltungsübertretungen können dazu führen den Anspruch auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu verlieren. Außerdem sieht sich Österreich dem Grundsatz der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit verpflichtet.⁵ Das bedeutet, dass im Regelfall keine Doppelstaatsbürgerschaft möglich ist und die ursprüngliche Staatsbürgerschaft beim Erwerb der Österreichischen zurückzulegen ist. Das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz ist an mehreren Stellen zu überarbeiten. Die Schaffung der Möglichkeit zur Doppelstaatsbürgerschaft könnte ein erster Schritt sein, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern.
Bis dato lässt Österreich nur in absoluten Ausnahmefällen Doppelstaatsbürgerschaften zu. Das stellt Immigrant*innen sowie Emigrant*innen vor die Wahl. Man muss sich entscheiden, zwischen der ursprünglichen Staatsbürgerschaft, der Staatsbürgerschaft der ursprünglichen Heimat und der Staatsbürgerschaft der neuen Heimat. Für viele stellt das den Hauptgrund dar, sich nicht für die Staatsbürgerschaft des Landes des neuen Lebensmittelpunktes zu entscheiden. Neben der emotionalen Bindung zur ursprünglichen Staatsbürgerschaft, spielt bei dieser Entscheidung auch der Verlust von Rechten eine Rolle. Mit der Zurücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft verliert man unter anderem das Recht auf jederzeitige (visafreie) Wiedereinreise oder unbefristete Rückkehr. Oft geht auch der Antritt einer Erbschaft oder ein Grundbesitz verloren.⁶ Die Zurücklegung der ursprünglichen Staatsbürgerschaft stellt somit eine emotionale Trennung dar und beinhaltet den Verlust von Rechten im Herkunftsland. Das gilt sowohl für Immigrant*innen als auch für Emigrant*innen. Abgesehen von wenigen Ausnahmefällen hält Österreich dennoch daran fest, dass beim Erwerb der Österreichischen, die andere Staatsbürgerschaft bzw. beim Erwerb einer anderen, die österreichische Staatsbürgerschaft zurückgelegt werden muss. Beim Erwerb bei der Geburt wird die Doppelstaatsbürgerschaft toleriert. Hat ein Elternteil die österreichische Staatsbürgerschaft und der andere Elternteil eine andere, erlaubt das österreichische Recht Doppelstaatsbürgerschaften. Falls die Beibehaltung im Interesse Österreichs liegt, oder ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Privat- und Familienleben vorliegt, gibt es ebenso die Möglichkeit die ursprüngliche Staatsbürgerschaft beizubehalten. Die letztgenannte Möglichkeit der Beibehaltung aus privaten und familiären Gründen steht jedoch ausschließlich österreichischen Staatsbürger*innen zu, die in einem anderen Land eingebürgert werden wollen, und kann nicht von Menschen, die ihre ursprünglich Staatsbürgerschaft beibehalten und in Österreich eingebürgert werden wollen, in Anspruch genommen werden.⁷ Das deutet daraufhin, dass es dem Gesetzgeber durchaus bewusst ist, wie problematisch der Verlust der ursprünglichen Staatsbürgerschaft sein kann. Er bietet jedoch nur Österreicher*innen eine Lösung dafür an.⁸ Obwohl das Interesse der in Österreich Lebenden mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft an einer Doppelstaatsbürgerschaft ebenso groß ist, wie das der im Ausland Lebenden mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Es gibt dazu keine Statistiken, wie oft diese Ausnahme bewilligt wird.
Europaweit geht der Trend in Richtung Doppelstaatsbürgerschaft, immer mehr Staaten erlauben diese. 78% der Staaten weltweilt tolerieren die Doppelstaatsbürgerschaft zumindest entweder beim Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft oder bei der Einbürgerung.⁹ Doppelte*r Staatsbürger*in zu sein, entspricht zunehmend der Lebensrealität vieler Menschen. Eine wachsende Anzahl an Menschen hat nicht nur zu einem Staat starke Verbindungen, fühlt sich nicht nur zu einem Staat zugehörig. Das spiegelt sich auf der Ebene der rechtlichen Anerkennung immer mehr Staaten wider. Auch Österreich sollte dies anerkennen. Die österreichische Staatsbürgerschaftspolitik basiert auf einem veralteten Verständnis von Staaten. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass Staaten Nationalstaaten sind. Nationalstaaten, deren Bevölkerung einer Nation angehört. Nationalstaaten, deren Bevölkerung eine nationale Identität eint. Diese Vorstellung hat nie der Realität entsprochen und tut dies umso weniger in der heutigen Zeit. Die Staaten Europas sind seit jeher geprägt von Diversität. In einer Zeit der zunehmenden Globalisierung und Mobilität verringert sich diese Diversität nicht, sondern sie intensiviert sich. In Österreich haben nie und werden auch nie nur weiße, katholische, ethnische Österreicher*innen leben, mit einem Stammbaum bestehend aus ausschließlich österreichischen Staatsbürger*innen. Alle in Österreich lebenden Menschen eint nicht eine nationale Identität. Die Gemeinsamkeit besteht darin, seinen Lebensmittelpunkt in Österreich zu haben. Genau deshalb sollten sich auch alle in Österreich lebenden Menschen als Österreicher*innen fühlen können und die Möglichkeit haben, diese Zugehörigkeit rechtlich verankert zu sehen - auch im Falle von Mehrfachzugehörigkeiten. Genauso wie Gesellschaften immer diverser werden, werden auch Identitäten immer diverser. Es ist durchaus möglich, sich verschiedenen Teilen der Welt zugehörig zu fühlen und an verschiedenen Orten zuhause zu sein. Immigrant*innen sowie Emigrant*innen und insbesondere deren Kinder können teilen dieses Gefühl.
Das Recht des Staates Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt im Land haben, die Staatsbürgerschaft zu verweigern, sollte auf ein Minimum reduziert werden. Nur in begründeten Ausnahmefällen, sollte der Zugang zur Staatsbürgerschaft, zur rechtlich verankerten Mitgliedschaft, verwehrt werden. Das Recht der Menschen auf politische Mitbestimmung, vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen, kurz: das Recht der Menschen auf volle Mitgliedschaft, sollte im Vordergrund stehen. Es ist wichtig für das Sicherheitsgefühl der Menschen ihre Zugehörigkeit rechtlich verankert zu sehen. Es vermindert Unsicherheiten in punkto Zukunft. Außerdem macht es die rechtliche Zugehörigkeit in Form der Staatsbürgerschaft leichter, sich als vollständiges und akzeptiertes Mitglied der Gemeinschaft zu fühlen. Das ist wichtig für den*die Einzelne*n und für die Gesellschaft. Das Ziel sollte es sein, möglichst wenig Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft als dauerhafte Bewohner*innen des Staatsgebietes zu haben. Die momentane Staatsbürgerschaftspolitik schafft Einwohner*innen zweiter Klasse. Es führt dazu, dass ein immer größerer Anteil der österreichischen Bevölkerung (17,7%)¹⁰ keinen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, zu den ihnen zustehenden Sozialleistungen und zur politischen Mitbestimmung hat. Ein immer größerer Teil der österreichischen Bevölkerung wird somit zu nicht vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft gemacht. Das ist zum einen fatal für unsere Demokratie, zum anderen ist es fatal für unsere Gemeinschaft. In einer Einwanderungsgesellschaft, wie die Österreichische es heute ist, wäre der Schritt hin zur Erlaubnis von Doppelstaatsbürgerschaften mehr als geboten. Beharrt man auf die Vermeidung der Doppelstaatsbürgerschaft, gefährdet man die Demokratie in Österreich. Artikel 1 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) besagt: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Österreich lebt davon, dass das Volk bestimmt, in welche Richtung sich das Land bewegt. Doch wie kann dies gewährleistet werden, wenn 15% der sich im wahlfähigen Alter Befindenden nicht wählen dürfen? Wenn 15% nicht mitbestimmen können? Man wird früher oder später mit einem Legitimationsproblem konfrontiert sein. Es ist demokratisch schwer zu rechtfertigen, dass dauerhafte Bewohner*innen eines Staatsgebietes den Gesetzen unterworfen sind, aber vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.¹¹ Jedem Menschen, der Österreich als das Land seines Lebensmittelpunktes gewählt hat, muss es möglich sein, volles Mitglied der Gesellschaft zu sein und sich als solches zu fühlen. Das muss auch möglich sein, wenn man sich zu einem anderen Staat ebenso zugehörig fühlt. Das Staatsbürgerschaftsgesetz sollte auf dem Prinzip der Möglichkeit zur Mehrfachzugehörigkeit basieren.
Österreich hat mit der Schaffung der Möglichkeit zur Doppelstaatsbürgerschaft mehr zu gewinnen als zu verlieren. Für viele ist der ausschlaggebende Grund nicht die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, der, dass die andere zurückgelegt werden muss. Mit der entsprechenden Staatsbürgerschaft wäre es jedoch viel leichter, sich zur Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Die Staatsbürgerschaft repräsentiert die rechtliche Zugehörigkeit. Sie ist ein Zeichen dafür, dass man als Mitglied anerkannt wird. Damit werden einer Person mehr Rechte zugestanden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen wird erleichtert. Der Zugang zur politischen Mitbestimmung wird ermöglicht. In einer Gesellschaft sollte es das Ziel sein, dass sich möglichst alle Menschen zugehörig fühlen und Gebrauch von ihrem Recht der (politischen) Mitgestaltung machen. Um mit den Worten von Rainer Bauböcks zu schließen: „Es gibt ein allgemeines Interesse der Republik das Demokratiedefizit zu verringern und die Integration von Einwanderern und Einwanderinnen zu fördern, dadurch, dass der Zugang zur Staatsbürgerschaft nicht nur erleichtert, sondern gefördert wird."¹² Die Möglichkeit zur Doppelstaatsbürgerschaft wäre zumindest eine Erleichterung und ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Literaturverzeichnis
Bauböck/Valchars/Mayer/Horaczek, Staatsbürgerschaft versus Demokratie, Wien 2021, https://www.falter.at/falter/radio/6198df7cf13bd50014e89607/staatsburgerschaft-versus-demokratie-630 (abgerufen am 22.07.2022).
Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten, Doppelstaatsbürgerschaft, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/leben-im-ausland/staats-und-unionsbuergerschaft/doppelstaatsbuergerschaft/ (abgerufen am 22.07.2022).
Mayr/Szigetvari, 1,1 Millionen in Österreich ohne Wahlrecht: Verträgt das die Demokratie?, 2019, https://www.derstandard.at/story/2000105976446/1-1-millionen-in-oesterreich-ohne-wahlrecht-vertraegt-das-die( abgerufen am 28.07.2022).
Statistik Austria, Bevölkerung nach Staatsangehörigkeit/ Geburtsland, 2022, https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/bevoelkerung/bevoelkerungsstand/bevoelkerung-nach-staatsangehoerigkeit/-geburtsland (abgerufen am 28.07.2022).
Valchars/Bauböck, Migration & Staatsbürgerschaft, Wien 2021.
Fußnoten
1 Die Stellungnahme wurde mit Unterstützung von Theresa Steiner, Lisa Almbauer, Zoe Friede und Johannes Unterthurner im Rahmen ihres Praktikums bei der Antidiskriminierungsstelle Steiermark verfasst.
2 Vgl. § 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) - alle Aufenthaltstitel
3 (Vgl. Mayr & Szigetvari, 2019)
4 https://www.rechtsanwalt-flatz.at/notwendiges-einkommen-fuer-die-staatsbuergerschaft/ (abgerufen am 22.07.2022). https://www.wien.gv.at/spezial/integrationsmonitor2020/gleichstellung-und-partizipation/ausschluss-von-der-einbuergerung-aufgrund-eines-zu-geringen-einkommens/ (abgerufen am 22.07.2022).
5 (Vgl. Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten) Neben Österreich haben nur noch die Niederlande das Kapitel zum Verlust der Staatsbürgerschaft bei Annahme der Staatsbürgerschaft eines anderen Vertragsstaates nicht aufgekündigt. (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 134)
6 (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 83)
7 (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 156)
8 (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 146)
9 (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 127)
10 (Vgl. Statistik Austria, 2022)
11 (Vgl. Valchars & Bauböck, 2021, S. 15)