Offener Brief
An den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Herrn Rudolf Anschober, Stubenring 1, 1010 Wien
Mittwoch, 18. November 2020
Sehr geehrter Herr Bundesminister!
Mit Freude haben wir vernommen, dass noch „in diesem Jahr" eine Anpassung des Fragebogens des Österreichischen Roten Kreuzes laut Aussendung des Gesundheitsministeriums erfolgen und durch das Senken der Rückstellzeit für homosexuelle Männer von derzeit zwölf Monaten eine "diskriminierungsfreie Blutspende" ermöglicht werden soll.1 Derzeit sind Männer, die mit Männern Sex haben, trotz jahrelanger Kritik und vielfacher Aufforderungen2 in Österreich de facto noch immer von einer Blutspende ausgeschlossen bzw. zurückgestellt und daher fordern wir aus aktuellem Anlass erneut:
die Diskriminierung von homosexuellen Männern beim Blutspenden zu beenden!
Der mittlerweile zehn Jahre alte Entwurf des damaligen Gesundheitsministers Dr. Alois Stöger zu einer diesbezüglichen Parlamentarischen Anfrage3, diesem Missstand mittels folgender Ergänzung des § 3 BSV entgegenzutreten, wurde trotz wiederholter Anfragen der Antidiskriminierungsstelle Steiermark4 sowie unterschiedlicher Petitionen noch immer nicht gefolgt:
„Bei der Befragung des Spenders zu seinem Gesundheitszustand und dessen Dokumentation sowie der diesbezüglichen Aufklärung und Information dürfen keine diskriminierenden Formulierungen verwendet werden".5
Bereits 2015 entschied der Europäische Gerichtshof6, dass ein genereller Ausschluss bi- und homosexueller Männer von der Möglichkeit Blut zu spenden nicht zulässig ist, sondern ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 21 Abs 1 der EU-Grundrechte-Charta darstellt, wenn es Alternativen gibt das Übertragungsrisiko für Infektionskrankheiten auszuschließen.7
Seit 01.09.2020 wird vom Österreichischen Roten Kreuz ein neuer Spenderfragebogen8 verwendet, der auch nach der Novellierung des Blutsicherheitsgesetzes (BSG9) und der Blutspenderverordnung (BSV10) im Jahr 2019 wieder nicht diskriminierungsfrei formuliert ist.
Vor diesem Hintergrund stach im Zuge der Überprüfung des neuen Spenderfragebogens durch die Antidiskriminierungsstelle vor allem Frage 37 als problematisch hervor. Die Formulierung unterstellt Männern, die mit Männern Sex haben, rein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung pauschal sexuelles Risikoverhalten und erlegt ihnen vor einer möglichen Blutspende einen zwölf-monatigen Enthaltsamkeitszeitraum auf:
„Frage 37: Hatten Sie in den letzten Monaten eines der folgenden Risikoverhalten:
In den letzten 4 Monaten:
a. Eine/n IntimparnerIn, die/der an einer sexuell übertragbaren Infektion erkrankt ist (z.B. Hepatitis B, Hepatitis C, HIV...)?
b. Als Frau Sex mit einem Mann der Sex mit einem Mann hatte?
c. Sex in Anspruch genommen gegen Geld oder Drogen?
d. Geschlechtsverkehr mit Personen aus Ländern mit erhöhter AIDS-Rate (siehe aufliegende Spenderinformation und Spenderaufklärung)?
In den letzten 12 Monaten:
a. Sexdienstleistung ausgeführt gegen Geld oder Drogen?
b. Mehr als 3 SexualpartnerInnen?
c. Als Mann Sex mit einem Mann?"
Im Gegensatz dazu dürfen Frauen innerhalb der letzten zwölf Monate zwar nicht mehr als drei verschiedene Sexualpartnerinnen und Sexualpartner gehabt haben, ob sie aber Sex mit einem Mann hatten, der Sex mit einem anderen Mann hatte, ist nur für einen vier Monate zurückliegenden Zeitraum relevant.
Der in Österreich geltende Fragebogen suggeriert das völlig veraltete Bild, dass Männer, die mit Männern Sex haben, automatisch auch Krankheiten übertragen würden. Dadurch werden homosexuelle Männer immer noch pauschal als Risikogruppe eingestuft, unabhängig ob ein Risikoverhalten vorliegt oder nicht.11 Begründet wird das vom Österreichischen Roten Kreuz mit der HIV Prävalenz, welche angibt wie viele Menschen einer bestimmten Gruppe von einer bestimmten Krankheit betroffen sind.12 Dabei wird aber nicht darauf hingewiesen, dass die besondere Vorsicht mit Blutspenden von Homosexuellen noch aus den 1980er-Jahren stammt, als Aids und die Gefahr durch HIV aufkamen13 und deutlich mehr homosexuelle Männer von Aids betroffen waren. Heute zählen nicht mehr Drogenabhängige und Homosexuelle die meisten Neuinfektionen, sondern es sind hauptsächlich Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnern.14
Neben dem Aspekt, dass diese Zulassungsbeschränkung eine ungerechtfertigte Diskriminierung birgt, kann sie nicht geoutete Männer, die mit Männern Sex haben, in unangenehme Situationen bringen oder gar ein Zwangsouting nach sich ziehen. Beispielsweise ist in vielen Betrieben das Blutspenden Tradition, als Mann, der mit Männern Sex hat, ist man davon pauschal ausgeschlossen. Hat man nun am Arbeitsplatz oder auch als Grundwehrdiener seine sexuelle Orientierung nicht bekannt gegeben, kann dies ein Zwangsouting nach sich ziehen.15
Ein Nachweis über eine HIV-Infektion ist erst einige Zeit nach der Ansteckung möglich, der Zeitraum zwischen dem Infektionszeitpunkt und der Nachweisbarkeit im Blut wird als „diagnostisches Fenster" bezeichnet. Mittels eines Antikörpertests lässt sich eine mögliche HIV-Infektion nach zwölf Wochen sicher ausschließen.16 Neuere Europäische und deutsche Richtlinien gehen heute davon aus, dass selbst ein Zeitraum von sechs Wochen ausreichend ist, wenn ein entsprechender Labortest der vierten Generation durchgeführt wird.17 Vom Österreichischen Roten Kreuz wird an allen Blutspenden eine PCR-Testung vorgenommen, womit innerhalb von neun bis zehn Tagen nicht nur die Antikörper im Blut, sondern der Erreger selbst festgestellt werden kann.18 Das Vorschreiben eines Enthaltsamkeitszeitraumes über zwölf Monate ist deswegen absurd lang und scheint willkürlich gewählt, da sich ein sinnvoll geregelter Zeitraum zumindest am diagnostischen Fenster orientieren würde.19
Selbstverständlich hat die Sicherheit von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden höchste Priorität, wonach gewisse Ausschlusskriterien sinnvoll sind. Deswegen sollte jede Person, die bereit ist, für die Gemeinschaft Blut zu spenden, auch mit den gleichen Kriterien befragt und geprüft werden. Das individuelle Risikoverhalten ist entscheidend, nicht die sexuelle Identität, und darum sollte das Österreichische Rote Kreuz - das 94 % der Blutspenden in Österreich annimmt und verarbeitet20 - auch sinnvolle Fragen nach dem individuellen und konkreten Risikoverhalten stellen. Beim Blutspenden darf es zu keiner Diskriminierung bestimmter Gruppen kommen, die aufgrund gewisser Merkmale automatisch vom Blutspenden - unabhängig von einem real vorhandenem Risikoverhalten, sondern lediglich aufgrund der Gruppenzugehörigkeit - ausgeschlossen werden. Bei einem Ausschluss von der Blutspende für Männer, die mit anderen Männern Sex haben oder hatten, handelt es sich eindeutig um eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, da Betreffende zwangsläufig als potentielle HIV-Träger eingestuft und als gefährlich betrachtet werden.21
Nach Angaben des Österreichischen Roten Kreuzes spenden nur etwa 3,5% regelmäßig22, europaweit sind es etwa 5% der 18- bis 65-jährigen.23 Laut der Studie von Talk Online Panel für m.core, das Institute for Marketing & Consumer Research an der WU Wien kommen 19% der Österreicherinnen und Österreicher aus medizinischen oder religiösen Gründen für eine Blutspende nicht in Frage. Von den übrigen vier Fünfteln haben 46% noch nie Blut gespendet.
Es wird aufgezeigt, dass Männer eher zu einer Blutspende bereit sind (67% haben schon einmal Blut gespendet) als Frauen (nur 51% haben schon einmal Blut gespendet).24
Grundsätzlich stammt das Spenderblut, das in österreichischen Krankenhäusern zum Einsatz kommt, ausschließlich aus Österreich. In seltenen Bedarfsfällen kann bei der Zentralen Europäischen Blutbank in Amsterdam um eine passende Blutspende angefragt werden.25 Dabei kann es sich dann um eine Spende aus anderen europäischen Ländern handeln, die bereits auf das individuelle und konkrete Risikoverhalten abstellen und homosexuelle nicht mehr pauschal von einer Blutspende ausschließen, wie z.B. in Bulgarien, Polen, Lettland, Portugal und Spanien.26 Seit Juni 2020 gilt auch in Großbritannien, gleich wie in den USA27, eine 3-Monats-Frist. Nach vier Monaten darf in Dänemark gespendet werden28 und in Frankreich wurde die 12-Monatsregel nun auf vier Monate Wartezeit gekürzt, wonach ab 2022 homo- und heterosexuelle Blutspender gleichgestellt sind.29 In Deutschland sind Männer, die mit Männern Sex haben, seit der Umsetzung der neuen Richtlinien der Bundesärztekammer im Jahr 201730 nur nach einem einjährigen Enthaltsamkeitszeitraum zu einer Blutspende zugelassen.31 Im Rahmen der Abfrage durch das Schweizer Rote Kreuz werden Männern die Fragen gestellt, ob sie je sexuellen Kontakt mit anderen Männern hatten und ob sie innerhalb der letzten zwölf Monate Sex mit einem anderen Mann hatten.32
Es bleibt völlig unverständlich, warum in Österreich an einer derartig diskriminierenden und veralteten Regelung festgehalten wird. Das menschliche Blut ist eines der wichtigsten Medikamente, alle 90 Sekunden wird in Österreich eine Blutkonserve - also insgesamt über 350.000 Blutkonserven pro Jahr - bei Unfällen, Operationen, schweren Erkrankungen oder Geburten benötigt. Die künstliche Herstellung von Blut ist nicht möglich.33 Man sollte doch annehmen können, dass im Hinblick auf die regelmäßigen Spendenaufrufe des Österreichischen Roten Kreuzes und der Haltbarkeit von Blutkonserven von maximal 42 Tagen34 es im Sinne der Gesundheit aller sei, bi- und homosexuelle Männer als Spendergruppe miteinzubeziehen.
Es wäre durchaus eine Chance für Österreich, einen diskriminierungsfreien Fragebogen zu erstellen und dabei dem Vorbild anderer europäischer Länder zu folgen, welche eine sinnvolle, nämlich eine am diagnostischen Fenster orientierte Frist vorsehen.
Mit freundlichen Grüßen
Mag.a Daniela Grabovac
Leiterin Antidiskriminierungsstelle Steiermark
1 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20201006_OTS0165/anschober-anpassung-des-leitfadens-zur-pruefung-von-blutspenderinnen-diskriminierungsfreie-blutspende-soll-moeglich-sein; https://kurier.at/wissen/gesundheit/anschober-blutspende-bald-ohne-diskriminierung/401056089
2 https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12039896/110122113
3 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_05879/fname_194522.pdf
4 https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12039896/110122113
5 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00303/imfname_775029.pdf
6 EuGH vom 29.04.2015, Rechtssache C-528/13 Léger
7 https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/blutspende-verbot-fuer-schwule-eugh-hat-urteil-gefaellt-a-1031240.html; https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/eugh-urteil-blutspende-verbot-fuer-schwule-ist-rechtens-unter-bedingungen-1.2457917
8 https://www.roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/spenderfragebogen/
9 Blutsicherheitsgesetz 1999 idF BGBl I 92/2019, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011145
10 Blutspenderverordnung idF BGBl II 371/2019, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011170
11 https://www.mdr.de/thueringen/blutspende-verbot-schwule-100.html
12 http://blog.roteskreuz.at/sociologist/2010/07/14/ist-blutspenden-ein-menschenrecht/
13 https://www.mdr.de/thueringen/blutspende-verbot-schwule-100.html; https://www.hosilinz.at/presseaussendungen/blutspendeverbot-fuer-schwule-eine-offenkundige-diskriminierung/
14 https://www.minimed.at/medizinische-themen/infektion-allergie/hiv-aids-10-fakten/; https://sciencev1.orf.at/news/61568.html
15 https://kontrast.at/blutspende-homosexuelle-oesterreich/
16 https://www.aidshilfen.at/inhalt/infektionsnachweis
17 https://www.aidshilfe-ooe.at/update-zum-diagnostischen-fenster/
18 https://wien.orf.at/v2/news/stories/2573557/
19 https://www.aidshilfe.de/blutspendeverbot-schwule-bisexuelle-maenner
20 https://www.addendum.org/blutspenden/
21 https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/dokumente/12349976_124394495/01556892/jahresbericht2014.pdf; Seite 38.
22 https://www.roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/empfaenger-von-blutkonserven/
23 https://www.falter.at/heureka/20130424/blutverschwendung-in-oesterreich/1cca19a217
24 https://www.mindtake.com/sites/mindtake.com/files/imfokus_report_july_2018_mcore_-_deutsch.pdf
25 https://www.falter.at/heureka/20130424/blutverschwendung-in-oesterreich/1cca19a217
26 https://zackzack.at/2020/04/29/aufregung-um-blutspendeverbot-fuer-schwule-tuerkis-gruen-stimmt-gegen-aufhebung/
27 https://www.aidshilfe.de/blutspendeverbot-schwule-bisexuelle-maenner
28 https://www.lsvd.de/de/ct/2336-Blutspendeausschluss-von-schwulen-und-bisexuellen-Maennern?gclid=EAIaIQobChMI58XlsvDH7AIVh9OyCh2r9gJcEAAYASAAEgLFbPD_BwE
29 https://kontrast.at/blutspende-homosexuelle-oesterreich/
30 https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/Richtlinie_Haemotherapie_E_A_2019_Aenderungsversion.pdf; Seite 18 und 19.
31 https://www.aidshilfe.de/blutspendeverbot-schwule-bisexuelle-maenner
32 https://www.blutspende.ch/de/spenderinfos/spende-check
33 https://www.roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/empfaenger-von-blutkonserven/
34 https://www.roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/empfaenger-von-blutkonserven/