Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle Steiermark zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem ein Bundesgesetz über Maßnahmen zum Schutz der Nutzer auf Kommunikationsplattformen erlassen wird (Kommunikationsplattformen-Gesetz-KoPl-G)
A. Allgemeines bezugnehmend auf Vorblatt und Wirkungsorientierte Folgenabschätzung 49/ME XXVII.GP sowie den Allgemeinen Teil der Erläuterungen
Problemanalyse:
Bereits im Vorblatt und der Wirkungsorientierten Folgenabschätzung zum Ministerialentwurf zu den beabsichtigen Maßnahmen zum Schutz der Nutzer auf Kommunikationsplattformen werden ausschließlich Zahlen des Vereins ZARA (Wien) angeführt. Laut diesen Informationen wurden bei dem Verein im Jahr 2019 1070 Fälle von rassistischen Übergriffen im Netz gemeldet.
Aus dem Rassismus Report 2019 von ZARA ergeht die Information, dass insgesamt 1070 Fälle im Lebensbereich „Internet" im Jahr 2019 gemeldet wurden.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark hat im Jahr 2017 die erste mobile Applikation zum Melden von Hasspostings entwickelt und diese im Jahr 2020 auch um die Möglichkeit der Meldung von Hate Crimes (BanHate - www.banhate.com) erweitert. Seit der Entwicklung der App sind österreichweit über 6500 Meldungen eingegangen. Es können über die App Hasspostings aus ganz Österreich und dem deutschsprachigen Raum (wie auch Hate Crimes aus dem realen Leben) gemeldet werden - die Antidiskriminierungsstelle Steiermark („BanHate") verfügt damit vermutlich über das umfassendste Datenmaterial zu Hass im Netz in ganz Österreich. Im Jahr 2019 verzeichnete die Antidiskriminierungsstelle Steiermark über die App „BanHate" insgesamt über 1800 Meldungen.
Diese Zahlen zeigen, dass sich die Problemanalyse keineswegs nur auf Zahlen eines Vereins (ZARA) stützen sollte. Die Berücksichtigung von weiteren Vereinen, die sich seit Jahren gegen Hass im Netz engagieren und über eine große Expertise verfügen, wäre ebenso wünschenswert und auch hinsichtlich einer Problemanalyse und Abschätzung über finanzielle Auswirkungen oder personellen Mehraufwand im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Gesetzesvorhaben unerlässlich.
Weiters wird in den Erläuterungen erwähnt, dass Hasspostings überwiegend auf rassistischen, ausländerfeindlichen, frauenfeindlichen und homophoben Motiven beruhen. Insbesondere gilt in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Zielpersonen und -gruppen, gegen die sich Hass richtet, kaum eingrenzbar sind.
Über die „BanHate"-App zeichnen sich neben den bereits erwähnten Motiven ebenso antisemitische und antimuslimische Motive sowie beispielsweise Hass gegen Personen des öffentlichen Lebens oder Politikerinnen und Politiker ab.
B. Besonderer Teil
i. Allgemeine Bestimmungen und Definitionen
1. § 1 Gegenstand und Anwendungsbereich
In § 1 Abs 2 und Abs 3 der Eingangsbestimmung werden Ausnahmen hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Gesetzes für In- und ausländische Anbieter von Kommunikationsplattformen (§ 2 Z4) normiert.
Abs 2:
Allgemein wird zu den Erläuterungen zum Ministerialentwurf angemerkt, dass die Angabe, Massenkommunikationsdienste würden erst aufgrund einer bestimmten Anzahl an Nutzerinnern und Nutzern und des daraus resultierenden Umsatzes eine „kritische Größe" erreichen, welche die „Verbreitung von potentiell schädlichen Inhalten erheblich beschleunigt", nicht nachvollzogen werden kann. Nicht erst das Erreichen einer „kritischen Größe" führt zur Gefahr, dass auf Plattformen strafrechtswidrige Inhalte veröffentlicht und abrufbar gehalten werden.
Nicht nachvollziehbar scheint zudem auch die Tatsache, dass die Erläuterungen zum gegenständlichen Gesetz die Beweggründe für die Festsetzung der Nutzerinnen- und Nutzerzahlen und des erzielten Umsatzes von Kommunikationsplattformen, die schlussendlich zur (Nicht-) Anwendung des Gesetzes führen, nicht zu nennen vermag.
Abs 3:
Ausnahme von Kommunikationsplattformen, die nur der Vermittlung oder dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen dienen, oder deren Hauptzweck in der Bereitstellung nicht gewinnorientierter Online-Enzyklopädien zur Wissensvermittlung dienen
In den Erläuterungen wird ausgeführt, dass derzeit keine Anhaltspunkte bestünden, die darauf hinweisen, dass in diesem Zusammenhang ein Handlungsbedarf bestehe.
Der Antidiskriminierungsstelle Steiermark wurden über die BanHate-App jedoch auch Hasskommentare auf ebendiesen Plattformen in der Vergangenheit gemeldet, beispielsweise Fälle im Zusammenhang mit Wohnungsinseraten oder dem Anbieten von Waren, die Plattformen von in Österreich bekannten Betreibern virtueller Marktplätze betreffen.
So richteten sich Inserate beispielsweise ausschließlich an Personen aus dem deutschsprachigen Raum oder beinhalteten Aufrufe, dass „nur an Österreicher" vermietet werden solle bzw. keine „Ausländer" oder „Moslems" erwünscht seien. Auch wenn es auf Grundlage anderer Gesetze (z.B. Gleichbehandlungsgesetz) Möglichkeiten gibt, gegen diskriminierende Inserate vorzugehen, darf eine Verantwortung derartiger Plattformen nicht per se gesetzlich ausgeschlossen werden.
Diskriminierende Inserate und Inhalte, die auf derartigen Online-Plattformen veröffentlicht werden, werden genauso wie Hasspostings in den sozialen Medien für eine große Öffentlichkeit sichtbar und tragen zu Ohnmachtsgefühlen von Teilen der Bevölkerung und weiteren Spannungen innerhalb der Gesellschaft bei.
Selbst wenn die oben genannten Beispiele möglicherweise nicht zur Verwirklichung entsprechender Tatbestände führen, sind durchaus Beispiele denkbar, bei welchen durch eine ähnliche inhaltliche Ausgestaltung von Inseraten beispielsweise ein Verhetzungstatbestand erfüllt sein könnte, was die Unverständlichkeit des Ausschlusses der Verantwortung derartiger Plattformen untermauert.
Ausnahme Medienunternehmen (im Sinne des § 1 Abs 1 Z6 MedienG)
Als Antidiskriminierungsstelle Steiermark muss nach jahrelanger Bearbeitung von Hasspostings, die über die „BanHate" übermittelt wurden, mitgeteilt werden, dass eine derartige Ausnahme unverständlich ist. So scheinen die meisten Zeitungsforen bereits über einen Social Media-Auftritt zu verfügen, auf dem wohl der überwiegende Teil der strafrechtlich relevanten Beiträge zu finden ist.
Nicht sollte jedoch die Tatsache, dass bei Internetauftritten der Medienunternehmen (außerhalb der Social-Media Auftritte) trotz bestehender Forenregeln und der teilweise vorgenommenen Moderation und erst nachträglichen Freigabe von Kommentaren strafrechtlich relevante Beiträge gefunden werden können, unberücksichtigt bleiben.
Insbesondere ist hier im Zusammenhang mit Zeitungsforen (erneut) auf den Umstand hinzuweisen, dass Beiträge eines Zeitungsforums bspw. durch das Teilen auf einer Plattform wie Facebook eine große Reichweite erzielen. Sind Zeitungsforen von Regelungen ausgenommen, könnten potentielle Hassposterinnen und Hassposter dazu verleitet werden, ihre Kommentare zu Beiträgen in den „kleineren" Foren zu veröffentlichen, um dort einer Verfolgung bzw. Löschung zu entgehen.1
Plattformregelungen mögen sich am nationalen Recht orientieren und entsprechende Zeitungsforen ihren Sitz in Österreich haben. Unsere praktische Erfahrung im Rahmen der Betreuung der „BanHate" zeigt jedoch, dass die Identifizierung entsprechender verantwortlicher Ansprechpersonen bei heimischen Zeitungsforen teilweise unmöglich scheint, eine Löschung auch bei Meldung entsprechender Postings nicht umgehend erfolgt und die Rückmeldung entsprechender Zeitungsforen zumeist ausbleibt.
Die Erforderlichkeit der Zustellung eines Unterlassungsanspruchs für den Fall rechtswidriger Veröffentlichungen in Zeitungsforen scheint hier nicht die gewollte Niederschwelligkeit zu erzielen.2 Ob die in den Erläuterungen genannten hohen Sorgfaltsanforderungen des MedienG mit jenen des gegenständlichen Gesetzes vergleichbar zu sein scheinen, bleibt fraglich.
Zudem müssen in diesem Zusammenhang auch Bedenken hinsichtlich der Zielsetzung des Gesetzes geäußert werden. Soll es im Endeffekt um den Kampf gegen internationale Großkonzerne gehen, oder sollen Betroffene vor Hate Speech - also vor hasserfüllten Beiträgen gegen Individuen und Gruppen durch Menschen, die die demokratischen Werte unserer Gesellschaft nicht akzeptieren wollen - geschützt werden?
2. § 2 Begriffsbestimmungen
Z6:
Seitens der Antidiskriminierungsstelle Steiermark wird empfohlen von der in § 2 Z6 enthaltenen taxativen Aufzählung Abstand zu nehmen. Anzumerken ist überdies, dass der Tatbestand gem. § 111 StGB (Üble Nachrede) nicht in der Aufzählung zu finden ist, was absolut nicht nachvollziehbar ist und wohl einen Fehler darstellen muss.
Von der Antidiskriminierungsstelle Steiermark erfolgt im Wege der Bearbeitung jener Meldungen, die über die „BanHate"-App eingehen, stets eine strafrechtliche Vorsubsumierung, bevor Inhalte an die zuständigen Behörden übermittelt werden. Die Subsumierung der Hasspostings unter bestehende Straftatbestände hatte in der Vergangenheit auch Delikte zum Inhalt, die nicht in der in § 2 Z6 enthaltenen Auflistung zu finden sind.
So sei in diesem Zusammenhang nur an das Abzeichen- oder Symbole-Gesetz zu denken.
Ebenso einschlägig waren in der Beurteilung in der Vergangenheit auch weitere Bestimmungen des Strafgesetzbuches, beispielsweise § 282 StGB (Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheißung mit Strafe bedrohter Handlungen), § 275 StGB (Landzwang), §§ 15, 78 StGB (versuchte Mitwirkung am Selbstmord), § 152 StGB (Kreditschädigung) etc. Ebenso kann kein Grund dafür gesehen werden, dass Hochverrat oder andere Angriffe gegen den Staat (im Sinne des Vierzehnten Abschnitts) gänzlich außer Acht gelassen werden.
Es wird daher empfohlen, diese Aufzählung entsprechend zu ergänzen und als demonstrative Aufzählung zu klassifizieren.
ii. Anforderungen an Kommunikationsplattformen
3. § 3 Melde- und Überprüfungsverfahren
Bei Vorliegen der gesetzlich festgesetzten Nutzerinnen- und Nutzergrenze sowie Umsatzgrenze müssen Dienstanbieter als Betreiber von Kommunikationsplattformen entsprechende Verfahren einrichten. Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark begrüßt grundsätzlich die Einrichtung eines Melde- und Überprüfungsverfahrens und die Beabsichtigung, einen erleichterten Zugang zu Beschwerde- und Überprüfungsmöglichkeiten für Userinnen und User im Internet zu schaffen.
Dass dabei Nutzerinnen- und Nutzerfreundlichkeit und Nachvollziehbarkeit Grundpfeiler bilden sollen, ist erfreulich. Besonders gilt es auch zu begrüßen, dass einem allfälligen „Overblocking" durch die Einführung des Überprüfungsverfahrens begegnet werden soll.
Abs 2 und Abs 3:
In § 3 wird zum ersten Mal in diesem Gesetz auf eine allfällige Entfernung oder Sperre des Zugangs zu einem Beitrag Bezug genommen. Für den Fall, dass Personen Inhalte bei den Dienstanbietern von Kommunikationsplattformen melden, sind in § 3 Abs 3 unterschiedliche Obliegenheiten festgelegt. Nicht jedoch vermag das Gesetz festzulegen, in welchen Fällen eine Sperrung des Beitrags und in welchen Fällen eine Entfernung erfolgen soll. Im Zusammenhang mit der erwähnten Obliegenheit den „Zugang zu Meldungen zu sperren" stellt sich insbesondere die Frage, auf welches Territorium sich derartige Sperrungen eines Zugangs beziehen, insbesondere wenn man die Rechtsprechung des EuGHs hierzu berücksichtigt.3
§ 3 Abs 3 Z2
Hinsichtlich jener Personen, die Inhalte hochgeladen haben, gilt anzumerken, dass auch eine Verantwortlichkeit von Medieninhaberinnen und Medieninhabern im Sinne der §§ 6 ff MedienG zu berücksichtigen ist. Da sich die Zuständigkeit der Verfahren in den meisten Fällen auch nach dem (Wohn-)Sitz der Medieninhaberin oder des Medieninhabers richtet, scheint in diesem Zusammenhang die Überlegung notwendig, auch Medieninhaberinnen und Medieninhaber über ein Melde- und Überprüfungsverfahren in Kenntnis zu setzen.
§ 3 Abs 3 Z3
Im Zusammenhang mit der in dieser Bestimmung genannten Frist zu Sicherung von Daten zu Beweiszwecken gilt anzumerken, dass diese zu kurz gegriffen scheint.
So hat die Antidiskriminierungsstelle Steiermark Anzeigen im Zusammenhang mit BanHate-Meldungen bei österreichischen Staatsanwaltschaften eingebracht. Teilweise wurde die Antidiskriminierungsstelle Steiermark folgend über den Fortgang von Verfahren (Einstellungen, Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens etc.) informiert. Der Zeitpunkt der behördlichen Informationen über den Fortgang der Verfahren fiel oftmals weit mit jenem der Anzeigenerstattung auseinander. Dies legt die Vermutung nahe, dass entsprechende Maßnahmen von Strafverfolgungsbehörden wohl teilweise aufgrund der fehlenden Ressourcen nur verzögert vorgenommen werden können. Auch wenn der Entwurf vorsieht, dass ein Ersuchen einer Strafverfolgungsbehörde zu einer Verlängerung der Frist führen kann, wird zum einen nicht konkretisiert, ob bspw. eine Staatsanwaltschaft die Dauer der Fristerstreckung festzulegen hat, zum anderen nicht berücksichtigt, dass bis zu jenem Zeitpunkt, zu welchem eine Rechtssache von den Strafverfolgungsbehörden geprüft werden kann, möglicherweise die Frist von 10 Wochen in Einzelfällen bereits verstrichen sein könnte.
Hierbei scheint es also fraglich, ob der Tatsache, dass ein Überprüfungs-, Beschwerde- oder auch Aufsichtsverfahren ins Leere laufen würde, ausreichend vorgebeugt wird.
Abs 4
Allgemein wird angemerkt, dass sich hinsichtlich einer leichteren Zugänglichkeit für juristische Laien, die von Hasspostings betroffen sind, das Einfügen entsprechender (Unter-) bzw. Überschriften („Meldeverfahren"/"Überprüfungsverfahren") innerhalb der Absätze der Bestimmung empfehlen würde.
Da die Frist für einen Antrag auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens mit jeweils 2 Wochen nach Zugang der Entscheidung festgesetzt wird, gilt es den Zeitpunkt des Zugangs näher zu konkretisieren. Hierbei ist nur an den Umstand zu denken, dass eine Person sich auf der Kommunikationsplattform für einen gewissen Zeitraum nicht anmeldet, oder ein Profil beispielsweise gesperrt worden ist und damit der Zugang per se nicht möglich erscheint.
Daher wird empfohlen den Zeitpunkt des Zugangs beispielsweise erst durch eine Art „Lesebestätigung" und damit erst mit der Möglichkeit, entsprechende Entscheidungen erhalten zu können, zu bestimmen.
Abs 5:
In Abs 5 dieser Bestimmung würde sich ein nochmaliger Hinweis auf die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 3 Z3 und damit die Fristerstreckungsmöglichkeit der Strafverfolgungsbehörden empfehlen.
Abs 6:
Da Abs 6 wohl sowohl das Melde- als auch das Überprüfungsverfahren umfasst, sollte die Auskunft von personenbezogenen Daten im Meldeverfahren ausschließlich gegenüber der die Meldung erstattenden Person, im Überprüfungsverfahren ausschließlich gegenüber der die Überprüfung beantragenden Person erfolgen.
Abs 7:
Verständnis wird natürlich dafür gezeigt, dass einem etwaigen Missbrauch der Melde- und Überprüfungsverfahren vorgebeugt werden soll.
Dass aber Dienstanbieter von der Durchführung eines Melde- und Überprüfungsverfahrens befreit werden sollen, wenn „auf Grund der Art oder Häufigkeit der eingelangten Meldungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Meldungen entweder automatisiert oder sonst auf missbräuchliche Art veranlasst wurden" bedarf mit Sicherheit einer näheren Konkretisierung.
Gerade in Hinblick auf die Ausführungen in den Erläuterungen, nach welchen einer Gefährdung des Systems durch eine Vielzahl nachweislich unbegründeter Meldungen bestimmter Personen vorgebeugt werden soll, wird eine Anmerkung vorgenommen.
So scheint eine Unterscheidung von automatisierten Meldungen (durch Social Bots) und Meldungen von „natürlichen Personen" wohl möglich. Zudem stellt sich die Frage inwiefern eine „Vielzahl unbegründeter Meldungen" zur Nichtdurchführung der Verfahren führen würde. Userinnen und User sollen die Möglichkeit haben, Beiträge zu melden oder gegen Entscheidungen der Plattformen vorzugehen. Für den Fall, dass Userinnen oder User also hier beispielsweise immer wieder (für sie durchaus problematische oder als diskriminierend empfundene) Kommentare melden, aber kein Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards oder eine Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann, muss die Userin oder der User also befürchten, dass in Zukunft ihre oder seine Beiträge keine Berücksichtigung mehr finden?
Dass die Gesetzesstelle zu einem solchen Verständnis führt, war vermutlich nicht beabsichtigt, weswegen eine Konkretisierung gewünscht wird.
4. §§ 4, 5, 6 Berichtspflicht, Verantwortlicher Beauftragter, Durchsetzung
Um die beabsichtigten Möglichkeiten der Melde- und Überprüfungsverfahren auch realisieren zu können, müssen große Plattformen auch erreichbar sein, was durch die Einrichtung eines Verantwortlichen Beauftragten erzielt werden soll. Dass es beinahe unmöglich ist, eine Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken zu erzielen, liegt nicht zuletzt am Fehlen von verantwortlichen Ansprechpersonen bei den Betreibern der Netzwerke. Gerade auch hinsichtlich der Erreichbarkeit von Plattformen für die Justiz scheint die Ernennung eines verantwortlichen Beauftragten unumgänglich.
In Hinblick auf die akribische Berichtspflicht für Kommunikationsplattformen soll in dieser Stellungnahme auch darauf hingewiesen werden, dass es wünschenswert wäre, wenn es ähnliche Berichte auch hinsichtlich der geführten Verfahren betreffend Hass im Netz bei den österreichischen Strafverfolgungsbehörden geben würde. So scheint es in Österreich diesbezüglich keine transparenten Informationen im Zusammenhang mit Hate Speech relevanten Internetinhalten zu geben.
Zu einer umfangreichen und statistischen Erfassung von Hate Speech könnte jedoch dadurch beigetragen werden.
5. §§ 7,8 Beschwerdeverfahren, Aufsichtsbehörde, Beschwerdestelle, Finanzierung, Sanktionen
Hinsichtlich der Vorgabe, dass Nutzerinnen und Nutzer vor der Möglichkeit sich an die Beschwerdestelle wenden zu können, sich erfolglos an den Dienstanbieter gewandt haben müssen, gilt anzumerken, dass es einer Konkretisierung hinsichtlich dessen bedarf, wie Nutzerinnen oder Nutzer diesen Umstand nachzuweisen haben.
Für den Fall, dass Userinnen und User mit dem Ergebnis des Überprüfungsverfahrens nicht zufrieden sind, haben diese die Möglichkeit eine Beschwerde bei der Beschwerdestelle gem. § 7 (RTR-GmbH) einzureichen.
Wie die in § 7 erwähnte „einvernehmliche Lösung" im Einzelfall für Userinnen und User aussehen könnte, bleibt nach Durchsicht der Materialien zum Ministerialentwurf jedoch offen. So scheinen in den Erläuterungen zwar Vorschläge zur Raschheit des Verfahrens oder Anforderungen an die Nutzerfreundlichkeit genannt zu werden, ob durch eine Beschwerde an die RTR-GmbH aber tatsächlich auch inhaltliche Fehlentscheidungen zu (Nicht-)Löschungsentscheidungen geltend gemacht werden können, kann aus der Gesetzesbestimmung nicht klar abgeleitet werden und bedarf deshalb einer Konkretisierung.
6. § 9 Aufsichtsverfahren
Grundsätzlich werden die Bestimmungen zum Aufsichtsverfahren begrüßt. So scheint nachvollziehbar, dass ein Aufsichtsverfahren erst bei systematischen Verstößen im Zusammenhang mit dem Melde- und Überprüfungsverfahren möglich sein soll. Insbesondere scheint durch den Ministerialentwurf und durch das Aufsichtsverfahren auch die Beseitigung von etwaigen Mängeln hinsichtlich der Maßnahmen gem. § 3 beabsichtigt zu sein, was zu einer stetigen Verbesserung der Maßnahmen führen könnte.
In diesem Zusammenhang werden aber Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen für die einzelnen Userinnen und Usern geäußert.
So scheint das Aufsichtsverfahren zum Ziel zu haben, die in diesem Gesetz festgeschriebenen Maßnahmen und deren Wirksamkeit (wie z.B. Einrichtung des Melde-oder Überprüfungsverfahrens) zu garantieren. Dass aber einzelne Userinnen und User, die ihre Beiträge zu Unrecht gelöscht erachten und für welche im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gem. § 7 jedoch keine „einvernehmliche Lösung" herbeigeführt werden konnte, letztendlich zu ihrem Recht (nämlich z.B. einer Wiederabrufbarkeit ihres Beitrags) gelangen, scheint dadurch nicht gewollt zu sein.
7. § 10 Geldbußen
Gemäß § 10 wird die Möglichkeit für die Aufsichtsbehörde festgelegt, bei bestimmten Verstößen gegen das Gesetz Geldbußen verhängen zu können.
Nicht beabsichtigt ist offensichtlich die Verhängung von Bußgeldern für den Fall von Einzelfallverfahren von Userinnern und Usern. Dies scheint in Anbetracht der französischen Rechtsprechung (Loi Avia) gewollt zu sein, um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Userinnen und User, wenn man „die Deutungshoheit über die offensichtliche Rechtswidrigkeit eines Inhalts den Plattformen überlasse", zu vermeiden.4
Somit scheint verständlich zu sein, dass die Festlegung von Bußgeldern als eine Maßnahme zur Sicherung der Einhaltung von Vorgaben gedacht ist, welche für eine wirkungsvolle Umsetzung der Gesetzesbestimmungen unumgänglich ist.
8. § 11 Geldstrafen
Der verantwortliche Beauftragte muss im Sinne des § 5 für Nutzerinnen und Nutzer leicht und unmittelbar auffindbar zur Verfügung stehen und für die Aufsichtsbehörde jederzeit erreichbar sein. Inwieweit dies in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar ist, wird sich zeigen.
Dass auch natürliche Personen im Sinne des § 11 für den Fall, dass sie nicht jederzeit erreichbar sind oder gegen andere Verpflichtungen des § 5 verstoßen, mit Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro zu rechnen haben, lässt die Frage offen, inwiefern sich Personen für diese Aufgabe finden werden.
9. Schlussfolgerungen
Insgesamt beurteilt die Antidiskriminierungsstelle Steiermark die vom Gesetzgeber angestrebten Maßnahmen als zielführend, um Hass im Netz effektiv entgegenzutreten.
Beim Versuch den zwischenmenschlichen Umgang zu regulieren, darf aber nicht nur eine Symptombekämpfung erfolgen, sondern sollte auch bei den Ursachen für Hass im Netz - der Gedankenlosigkeit und schwindenden Empathie im Rahmen einer digitalen Kommunikation - angesetzt werden. Umso wichtiger erachten wir es, dass bereits in der Schule angesetzt wird und schon Kinder und Jugendliche, die sich tagtäglich mit digitalen Medien auseinandersetzen, für Hate Speech und dessen Folgen sensibilisiert werden. Ethische Grundsätze und ein sensibler Umgang mit Sprache sollten jedoch von allen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren berücksichtigt werden und nicht nur für den Austausch im echten Leben, sondern auch für jenen über digitale Netzwerke gelten. Wie auch im „echten" Leben sollten Äußerungen von einem moralischen Kompass geleitet sein. Es ist jedoch nicht zielführend, dass diese ethischen und moralischen Grundsätze ausschließlich von großen Plattformen bestimmt werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die bestehenden Herausforderungen, die mit der digitalen Kommunikation einhergehen, auf gesetzlicher und gesellschaftlicher Ebene anerkannt werden.
Offensichtlich wird die Notwendigkeit der Verbesserung von Verfolgungsmöglichkeiten von Hasspostings nun endlich erkannt.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark hofft auf die Berücksichtigung ihrer Ausführungen und Bedenken.
Anmerkung: Diese Stellungnahme wird ebenso dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.
1 Antidiskriminierungsstelle Steiermark, Stellungnahme zum Entwurf des Bundesgesetzes, mit dem ein Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz erlassen und das KommAustria-Gesetz geändert wird vom 23.05.2019, https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12735274/151704537 (abgerufen am 02.10.2020).
2 Vgl. DerStandard - APA, Gesetz gegen „Hass im Netz soll nicht für Zeitungsforen gelten, https://www.derstandard.at/story/2000119355277/edtstadlergesetz-gegen-hass-im-netz-soll-nicht-fuer-zeitungsforen-gelten (abgerufen am 02.10.2020).
3 Vgl. EuGH 03.10.2019, C-18/18, Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook Ireland Limited.
4 Conseil Constitutionel, Décision n° 2020-801 DC du 18 juin 2020, (https://www.conseil-constitutionnel.fr/decision/2020/2020801DC.htm), Amélie Heldt, Loi Avia: Frankreichs Verfassungsrat kippt Gesetz gegen Hass im Netz, JuWissBlog Nr. 96/2020 v. 23.6.2020, https://www.juwiss.de/96-2020/ (abgerufen am 15.102020).