2 Jahre BanHate-App
Online-Hassreport Österreich: Plus 61 Prozent – extremer Anstieg an Postings mit NS-Bezug
Es sind alarmierende Zahlen, welche die Antidiskriminierungsstelle Steiermark in ihrem jüngsten „Online-Hassreport Österreich" präsentiert: Antisemitismus, Holocaust-Leugnungen sowie Parolen mit NS-Bezug machen knapp ein Drittel der Hasspostings aus. Insgesamt gingen bei der Stelle innerhalb eines Jahres 1960 Meldungen (20. März 2018 bis 19. März 2019) zu vermeintlichen Hasspostings primär aus Österreich ein. 1005 Hasspostings wurden an die zuständigen Stellen weitergeleitet bzw. zur Anzeige gebracht. Davon betrafen wiederum 299 Meldungen (29,75 Prozent) das
Verbotsgesetz oder wiesen einen antisemitischen Inhalt auf - das bedeutet eine Steigerung in dieser Kategorie gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017/2018 um 61 Prozent.
„Diese Zahlen verdeutlichen, dass der Hass im Internet immer stärker Antisemitismus betrifft. Viele der Meldungen, die über die BanHate-App bei unserer Stelle eingegangen sind, beinhalteten eine Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust oder es wurden Methoden und Einrichtungen des Nationalsozialismus verherrlicht oder herbeigesehnt. Die Meldungen reichten von antisemitischen Facebook-Postings, Karikaturen oder Memes bis hin zu Geburtstagswünschen an Adolf Hitler. Man liest im Netz vermehrt von Reichsbürgern oder beispielsweise auch dem Wunsch, das in Auschwitz verabreichte Gift ,Zyklon B' gegen ,menschliche Unkultur' einsetzen zu müssen", sagt Daniela Grabovac, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark.
Durch die Einführung von BanHate, der europaweit ersten App zum Melden von Hasspostings, verfügt die Stelle mit Sitz in Graz über detailliertes Zahlenmaterial aus ganz Österreich zum Thema Hass im Netz. Seit dem Start der App am 19. April 2017 gingen bei der Antidiskriminierungsstelle Steiermark ingesamt 3838 Meldungen zu Hasspostings
ein (Stand 16.05.2019), verfolgt wurden davon 1966 Postings. Der überwiegende Teil der gemeldeten Inhalte betrifft Österreich, der Rest andere deutschsprachige Länder. 87,8 Prozent der gemeldeten Postings wurden auf Facebook veröffentlicht. Registriert sind über die BanHate-App derzeit 2297 Nutzerinnen und Nutzer.
Die jüngsten Entwicklungen des aktuellen „Online-Hassreports Österreich " decken sich auch mit der Erhebung der EU-Grundrechteagentur zur „Erfahrung und Wahrnehmung von Antisemitismus", die im Dezember 2018 veröffentlicht wurde. 73 Prozent der Befragten innerhalb der EU gaben an, dass Antisemitismus ein großes Problem darstellt. 75 Prozent sind der Meinung, dass Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hat. Nach Einschätzung der Befragten ist Antisemitismus im Internet und vor allem in den sozialen Medien am problematischsten (89%).
Leitfaden „Extremismus online und offline“
Grabovac: „Extremismus, Hasskriminalität und Hassrede sind besorgniserregende Phänomene unserer Zeit, mit denen man sich sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt auseinandersetzen muss." Aus diesem Grund präsentiert die Antidiskriminierungsstelle Steiermark nun auch Österreichs ersten Leitfaden zu „Extremismus online und offline". Der Leitfaden bietet auf 80 Seiten einen Überblick über die Gesetzeslandschaft und veranschaulicht die Theorie anhand von entschiedenen Gerichtsfällen und Beispielen aus der Praxis. „Die Idee zu diesem Leitfaden entwickelte sich mitunter aus unseren Erfahrungen, die wir im Rahmen der Betreuung der BanHate-App gesammelt haben", so Grabovac. Gedacht ist der Leitfaden als Nachschlagewerk für alle Berufsgruppen, die mit den rechtlichen Aspekten rund um Extremismus und Hate Speech in Berührung kommen, aber auch für alle anderen, die sich mit diesem gesellschaftspolitisch wichtigen Thema vertieft auseinandersetzen wollen. Der Leitfaden „Extremismus online und offline" wurde in einer Auflage von 500 Stück gedruckt und ist zudem online auf der Internetseite der Antidiskriminierungsstelle Steiermark (www.adss.at) abrufbar sowie auch auf der Seite der Extremismuspräventionsstelle Steiermark (www.next.steiermark.at).
Landesrätin Doris Kampus, Soziales und Integration: Fokus auf digitalen Antisemitismus richten
„Extremismus und Hass im Netz, aber auch digitale Medien als Hort eines neuen und alten Antisemitismus - das sind Herausforderungen für uns alle. Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn Menschen zu Sündenböcken gestempelt, an den Pranger gestellt, angegriffen, verunglimpft und beschimpft werden. Wir müssen vielmehr dagegen aufstehen und als Politikerinnen und Politiker dagegen Stellung beziehen. Mit der Antidiskriminierungsstelle und der App BanHate haben wir in der Steiermark wirksame Werkzeuge im Kampf gegen Hass und Hetze, die wir mit Mitteln des Sozialressorts unterstützen. Wir müssen auch den Fokus schärfen, was digitalen Antisemitismus betrifft. Mit dem neuen Leitfaden,Extremismus online und offline' der Antidiskriminierungs- und Extremismuspräventionsstelle liegt nunmehr ein weiteres wichtigesInstrument vor, um für Achtung und Respekt in unserer Gesellschaft zukämpfen."
Stadtrat Kurt Hohensinner, Soziales, Bildung und Integration: Es braucht ein entschlossenes Hinschauen und Handeln
„Extremismus, egal ob politisch oder religiös motiviert, ist leider ein brandaktuelles Thema unserer Zeit. Vor allem im Internet treten extremistische Tendenzen oft unverhohlen zu Tage. Mit der BanHate-App wollen wir mehr Anstand und Menschenwürde in die digitale Diskussion bringen. Die hohe Zahl an Nutzern zeigt ihren Erfolg. Wenn rund 300 Meldungen das Verbotsgesetz oder Antisemitismus betreffen, ist das erschreckend. In der Stadt Graz versuchen wir hier schon seit Längerem mit Projekten wie Perspektivenwechsel oder Trialog entgegen zu wirken. Im vergangenen Jahr haben wir auch alle vierten Klassen der Volksschulen eingeladen, kostenlos die Grazer Synagoge zu besuchen. Um Extremismus zu bekämpfen, braucht es ein entschlossenes Hinschauen und Handeln. Mit der Extremismuspräventionsstelle und dem nun vorliegenden Leitfaden wollen wir in diesem komplexen Bereich wichtige Orientierung geben. Arbeiten wir gemeinsam daran, extremistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten."
Heinz Anderwald, Mitglied der jüdischen Gemeinde Graz: 20 Prozent des Budgets der jüdischen Gemeinden wird inzwischen für die Security ausgegeben
Es leben heute nur noch etwa 1,4 Millionen Jüdinnen und Juden in Gesamteuropa, in Österreich sind es ca. 8000. Zu erwarten ist ein weiterer Rückgang, eine besonders starke Auswanderung erleben wir aus Frankreich! In nahezu allen europäischen Ländern wird empfohlen, als Jude nicht erkennbar zu sein. Bereits 20 Prozent des Budgets der jüdischen Gemeinden wird inzwischen für die Security ausgegeben. Der Bericht des National rates über Antisemitismus zeigte dazu jüngst erschreckende Daten: 10 Prozent manifester Antisemitismus, 30 Prozent latenter Antisemitismus, 60 bis 70 Prozent manifester Antisemitismus in der türkischen und arabischen Communtiy.
Thomas Mühlbacher, Leiter Staatsanwaltschaft Graz: Wiederbetätigung erkennt man nicht mehr an Springerstiefeln
Am Anfang dieses Jahrzehnts waren Strafverfahren nach dem Verbotsgesetz selten. Täter waren oft Jugendliche, die im alkoholisierten Zustand Hakenkreuze an Hauswände malten. Vielfach handelte es sich um bloße Sachbeschädigungen, ohne ernst zu nehmenden ideologischen Hintergrund. Das hat sich in den letzten Jahren spürbar geändert. Wir beobachten in diesem Kriminalitätssegment nicht nur ein starkes Ansteigen der Anzahl der Fälle, besorgniserregend ist vor allem ein Wandel in der Deliktsbegehung. Zielsetzungen und Wertvorstellungen des Nationalsozialismus werden propagiert, ohne sie beim Namen zu nennen. Statt durch bekannte Symbole und Phrasen werden nationalsozialistische Inhalte zunehmend durch subtile Codes und Begriffe transportiert, um sie juristisch schwerer fassbar zu machen. Gleichzeitig werden sie dadurch für Gesellschaftsschichten akzeptabel, die plumpe Schlägerpropaganda zweifellos abgelehnt hätten. Wiederbetätigung erkennt man nicht mehr an Springerstiefeln.