Stellungnahme zur Nennung der Herkunft von (mutmaßlichen) Täterinnen und Tätern in den Medien
zu der vom Innenministerium an die Leiter der Pressestellen der Landespolizeidirektionen verschickten E-Mail mit der Aufforderung, die Staatsbürgerschaft und den Aufenthaltsstatus von mutmaßlichen Täterinnen und Tätern in deren Aussendungen explizit zu nennen.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark erlaubt sich, anlässlich der Diskussion über die Nennung der Herkunft von (mutmaßlichen) Täterinnen und Tätern in den Medien, welche durch ein internes Schreiben des Bundesministeriums für Inneres (BMI) aufgeworfen wurde, folgende Stellungnahme abzugeben.
In einer Mail aus dem BMI, die an die Leiter der Pressestellen der Landespolizeidirektionen ergangen ist, werden ebendiese dazu aufgefordert, „die Staatsbürgerschaft einer mutmaßlichen Täterin bzw. eines mutmaßlichen Täters in [ihren] Aussendungen zu benennen. Zudem gegebenenfalls bei einer/einem Fremden deren/dessen Aufenthaltsstatus, bzw. ob es sich um eine Asylwerberin bzw. einen Asylwerber handelt."1 Begründet wird dies mit „dem Hintergrund einer größtmöglichen Transparenz sowie einem vorhandenen berechtigten Interesse seitens der Bevölkerung bzw. der Medien."2
Dem österreichischen Mediengesetz zufolge muss vor der Bekanntgabe der Identität geschützt werden. Das bedeutet, dass ein Medium nicht „den Namen, das Bild oder andere Angaben veröffentlichen darf, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen."3 Auch das Bekanntwerden von anderen Merkmalen einer Verdächtigen oder eines Verdächtigen oder Verurteilten soll durch diese Bestimmung verhindert werden. Zulässig ist die Veröffentlichung von Identifikationsmerkmalen nur dann, wenn das Interesse der Öffentlichkeit am Bekanntwerden der Identität die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person überwiegt.4
Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Herkunft mutmaßlicher Täterinnen und Täter oder Verdächtiger stellt sich jedoch die Frage, worin der Wert für die Öffentlichkeit liegt. Im Zusammenhang mit Sexualstraftaten hat der Oberste Gerichtshof (OGH) beispielsweise bereits ausgesprochen, dass den Medien diesbezüglich keine Warnfunktion zukomme, sondern nur bestimmte Behörden über Verurteilungen informiert werden.5
In seiner Erkenntnis vom 17.04.2012 hat der österreichische Medienrat ausgesprochen, dass durch die Nennung des Migrationshintergrunds der Eindruck vermittelt werden könne, dass es zwischen krimineller Neigung und Migrationshintergrund einen Zusammenhang geben würde, was statistisch durch keinerlei Studien bewiesen ist. Angaben zum Migrationshintergrund einer Person sind also entbehrlich, außer es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Migrationshintergrund und der Tat.6
Auch der Ehrenkodex des österreichischen Presserates achtet auf den Persönlichkeitsschutz. Zudem empfiehlt er, „Pauschalverdächtigungen und Pauschalverunglimpfungen von Personen und Personengruppen unter allen Umständen zu vermeiden."7 Dementsprechend ist „jede Diskriminierung wegen des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts sowie aus ethnischen, nationalen, religiösen, sexuellen, weltanschaulichen oder sonstigen Gründen unzulässig."8 Ein Ethikverstoß wird nicht durch die bloße Nennung der Herkunft einer Täterin oder eines Täters begründet gesehen, den Journalistinnen und Journalisten wird jedoch empfohlen, stets Überlegungen darüber anzustellen, ob die Nennung der Herkunft von Personen für das Verständnis der Leserinnen und Leser erforderlich und für die Tat relevant ist.9
Auch in Deutschland wird empfohlen, im Einzelfall abzuwägen, ob die Nennung der Gruppenzugehörigkeit von Personen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt erscheint und zu berücksichtigen, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit auch dazu führen kann, dass Vorurteile gegenüber Minderheiten geschürt werden können.10
Als weitere Folge können diese Vorurteile und Resilienzen in der Bevölkerung einer bestimmten Minderheit oder ethnischen Gruppe gegenüber wachsen, weswegen diese dann benachteiligt bzw. diskriminiert wird. Die Auswirkungen, wenn die Herkunft von (mutmaßlichen) Täterinnen und Tätern in den Medien genannt wird, könnten sich somit nicht absehbar in die Zukunft erstrecken und künftige Generationen dieser Minderheit per se pauschal diffamieren, wie dies z.B. bei den Roma und Sinti als Z* der Fall war. Eine solche historisch bedingte negative Konnotation schafft Strukturen, welche nur schwerlich wieder verändert werden können.
Dem Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung" Uwe Vetterick zufolge könne eine Nennung der Herkunft jedoch auch Diskriminierung vorbeugen. Er begründete das mit den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung seines Blattes: Demnach schlossen viele Leserinnen und Leser aus der Tatsache, dass in Kriminalberichterstattungen keine Nationalität genannt wird, dass die Täterinnen, Täter und Tatverdächtigen Asylwerberinnen bzw. Asylwerber seien. Durch die konsequente Nennung der Herkunft aller Personen könnten derartige Missverständnisse vorgebeugt werden.11 Damit würde Diskriminierung entgegengewirkt und zugleich das Vertrauen in die Medien gestärkt werden, da eine Nicht-Nennung angesichts der Flüchtlingskrise als Weisung „von oben" interpretiert werden könne.12
Die Nennung der Herkunft von Täterinnen und Tätern in den Medien wirft jedoch die Frage auf, wie viele Jahre eine Person im Land leben müsse, um auch wirklich aus diesem Land zu kommen. Wenn es sich also um Migrantinnen bzw. Migranten der zweiten oder dritten Generation handelt, stellt sich die Frage, warum die Geburt im Land nicht ausreichend sein sollte. Wie weit reicht also die Herkunft zurück in die Vergangenheit, wenn der Reisepass der betroffenen Person ein österreichischer ist, die Eltern oder Großeltern jedoch keine österreichischen Staatsbürgerinnen und -bürger sind. Hierbei gilt auch zu beachten, dass manche Medien bestimmte Absichten in ihrer Berichterstattung konterkarieren, wenn sie zwar die Herkunft nicht nennen, wohl aber den auf eine Ausländerin bzw. einen Ausländer deutenden Vornamen.
Grundsätzlich folgt man in Österreich statistisch betrachtet der Definition der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe)13, wonach man nur dann von Menschen mit Migrationshintergrund spricht, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden.
Von der ersten Migrationsgeneration spricht man, wenn die Person selbst nicht in Österreich geboren wurde, die zweite Migrationsgeneration umfasst Menschen, die im Gegensatz zu den Eltern bereits in Österreich geboren wurden.14 Menschen, die der dritten oder vierten Generation angehören, werden nicht als Migrantinnen und Migranten in Statistiken aufgenommen und als Österreicherinnen und Österreicher erfasst.15 Warum sollte also die ursprüngliche Herkunft der Eltern und ethnische Wurzeln, mit denen eine Person sich möglicherweise überhaupt nicht identifiziert, in eine Berichterstattung Eingang finden? Die Identifizierung mit einer ethnischen Gruppe spielt eine wesentliche Rolle. Soziale Kollektive werden erst durch die Zuschreibung von Anderen und das subjektive Zugehörigkeitsgefühl zu ethnischen Gruppen.16
Im Sinne der Beurteilung dieser Gesichtspunkte muss im Einzelfall also jedenfalls geprüft werden, worin der Mehrwert und die Begründung für die Nennung der (ethnischen) Herkunft einer Person liegt. Kann kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit festgestellt werden, und gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen der ethnischen Herkunft einer mutmaßlichen Täterin oder eines mutmaßlichen Täters und der Tat, liegt der Schluss nahe, dass damit andere Ziele verfolgt werden.
Der deutsche Presserat hat in Folge der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht im Jahr 2015/2016 seinen Pressekodex durch eine Richtlinie und Leitsätze ergänzt, die es bei der Kriminalberichterstattung zu berücksichtigen gilt.
Nunmehr wird betont, dass die Nennung von bestimmten Merkmalen von Personen nicht zu „einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens" führen darf. Redaktionen soll es nicht verboten sein, die Herkunft von (mutmaßlichen) Täterinnen und Tätern zu nennen, aber sie werden dazu angehalten, in jedem Einzelfall eine verantwortungsbewusste und auch auf Tatsachen gestützte Entscheidung über die Gruppenzugehörigkeit von Personen zu treffen und das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses bzw. die Gefahr einer diskriminierenden Verallgemeinerung zu prüfen. In der Richtlinie wird ausgeführt, dass auch für den Fall, dass Behörden die Herkunft (mutmaßlicher) Täterinnen und Täter nennen, Redaktionen ihrer Abwägungspflicht nachkommen sollen und Neugierde nicht die Grundlage ihrer Entscheidung bilden darf.
Als Beispiele für ein begründetes öffentliches Interesse nennt der Presserat das Vorliegen einer besonders schweren und außergewöhnlichen Straftat wie Terrorismus oder die Tatsache, dass die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen zu einer besonderen Behandlung im Ermittlungsverfahren führen kann, wenn beispielsweise bei einem ausländischen Staatsangehörigen eine größere Fluchtgefahr besteht.
Die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung sieht der deutsche Presserat aber jedenfalls dann gegeben, wenn die Gruppenzugehörigkeit als bloßes Stilmittel benutzt wird.17
In einem solchen Fall gilt es auf die Schädlichkeit, die eine derartige Berichterstattung für Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) ethnischen Herkunft mit sich bringen kann, hinzuweisen.
Werden Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) ethnischen und sozialen Herkunft diskriminiert und eine ethnische Gruppe pauschalisiert als Verbrecher in der Öffentlichkeit dargestellt, kann dies unterschiedliche Auswirkungen haben.
Zum einen werden Hass, Vorurteile und Gefühle von Bedrohung und Angst in der Gesellschaft gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen geschürt und verstärkt. Es werden bestehende Stereotype in der Gesellschaft bekräftigt und ganze Bevölkerungsgruppen als Kriminelle oder potentielle Täterinnen und Täter stigmatisiert. Zum anderen können wiederkehrende Diskriminierungserfahrungen auch dazu führen, dass Menschen mit der Zeit tatsächlich das von ihnen erwartete Verhalten zeigen (Etikettierung - Labeling), wodurch sich die Gesellschaft und Behörden in ihren diskriminierenden Annahmen bestätigt fühlen („self-fulfilling-prophecy-Spiralen").18
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark weist auf die Verantwortung von Journalistinnen und Journalisten hin: Diese konstruieren Öffentlichkeit für relevante Themen und bieten Leserinnen und Lesern Informationen zu Thematiken, auf Grundlage derer sich diese ihr eigenes Bild machen können sollen, ohne, dass dabei der Journalismus eine (heimliche) Erziehungs- oder Miterziehungsfunktion in der Gesellschaft übernimmt.19 Fokussiert ein Bericht auf die Herkunft einer Täterin bzw. eines Täters, beteiligt er sich damit an der Verbreitung negativer Stereotype und schafft eine gespaltene Gesellschaft (Stichwort „Wir und die Anderen").
Objektiver Journalismus sollte in erster Linie danach trachten, die Öffentlichkeit über berichtenswerte Aspekte zu informieren. „Und der ethnische Hintergrund ist nur dann für die Berichterstattung relevant, wenn dies für die Erklärung des Sachverhalts unabdingbar notwendig erscheint."20 Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „Feuernacht": In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden von Südtiroler Freiheitskämpfern 37 Anschläge auf Hochspannungsleitungen verübt, um damit die Autonomie Südtirols von Italien zu erreichen.21 In diesem Zusammenhang macht die Nennung der Herkunft bzw. Zugehörigkeit der Täterinnen und Täter Sinn, da sie sich nicht mit dem italienischen Staat identifizierten und deshalb gegen ihn vorgingen. Andernfalls ist es unmöglich, die Tat zu verstehen. Doch auch in diesem Fall gilt, dass die Tat zählt und nicht die Herkunft bzw. Zugehörigkeit. Denn verurteilt werden Straftäterinnen und -täter aufgrund ihrer Tat.
Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark empfiehlt aufgrund all dieser zu bedenkenden Aspekte eine auf den einzelnen Sachverhalt abgestimmte Prüfung der Erforderlichkeit der Nennung der Herkunft von (mutmaßlichen) Täterinnen und Tätern in den Medien und des Überwiegens des öffentlichen Interesses, unter Berücksichtigung des Umstands, dass diese für die meisten Taten irrelevant zu sein scheint.
1 DerStandard - red, „Kritische Medien": Das Schreiben aus dem Innenministerium, https://derstandard.at/2000088051943/Das-Schreiben-aus-dem-Innenministerium (abgerufen am 01.10.2018).
2 ebd.
3 Bundesgesetz vom 12. Juni 1981 über die Presse und andere publizistische Medien (Mediengesetz - MedienG) BGBl 1981/314 idgF.#
4 Vgl. Berka/Höhne/Noll/Polley, Mediengesetz, Praxiskommentar; 106 f.
5 Vgl. OGH 15 Os 161/10f; Brunner, Verdachtsberichterstattung (2012) 44.
6 Österreichischer Journalisten Club, Erkenntnisse http://www.oejc.at/index.php?id=78 (abgerufen am 01.10.2018)
7 Österreichischer Presserat, Grundsätze für die publizistische Arbeit, https://www.presserat.at/show_content.php?sid=3 (abgerufen am 01.10.2018).
8 ebd.
9 DerStandard - red, Herkunft Verdächtiger in der Regel nicht nennen, sagt auch deutscher Presserat, https://derstandard.at/2000054686284/Herkunft-Verdaechtigter-in-der-Regel-nicht-nennen-sagt-deutscher-Presserat (abgerufen am 01.10.2018).
10 ebd.
11 DerStandard - APA/red, Herkunftsnennung von Tätern: Deutscher Presserat behält Linie bei, https://derstandard.at/2000032621834/Herkunftsnennung-von-Taetern-Deutscher-Presserat-haelt-an-Praxis-fest (abgerufen am 01.10.2018).
12 Deutsche Welle - Semenova, Medienproblem: Herkunft von Straftätern, https://www.dw.com/de/medienproblem-herkunft-von-straft%C3%A4tern/a-38246465 (abgerufen am 03.10.2018).
13 United Nations Economic Commission for Europe (UNECE), Recommendations for the 2020 censuses of population and housing, 136.
14 Statistik Austria, Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund, http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_migrationshintergrund/index.html (abgerufen am 01.10.2018).
15 DiePresse - Akinyosoye, Begriffsverwirrung: Ende des Migrationshintergrunds, https://diepresse.com/home/panorama/integration/621637/Begriffsverwirrung_Ende-des-Migrationshintergrunds (abgerufen am 01.10.2018).
16 Cornell/Hartmann, Ethnicity and Race: Making Identities in a Changing World, Thousand Oaks (2007), 20 f.; vgl. Millner, Ethnic Profiling im Kontext der Ausübung polizeilicher Befugnisse, Graz (2018) 11.
17 Deutscher Presserat, Praxis-Leitsätze, Richtlinie 12.1 des Pressekodex, https://www.presserat.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dateien/Pressekodex_Leitsaetze_RL12.1.pdf (abgerufen am 03.10.2018).
18 Schicht, Racial Profiling bei der Polizei in Deutschland - Bildungsbedarf? Beratungsresistenz? ZEP 2013 /2'13, 34.
19 Universität Wien, Medien, Migration und ethnische Zugehörigkeiten, https://blog.univie.ac.at/medien-migration-und-ethnische-zugehoerigkeiten/ (abgerufen am 01.10.2018).
20 ebd.
21 Die Zeit - Fasser, Bomben im Kofferraum, https://www.zeit.de/2011/24/A-Feuernacht-Suedtirol (abgerufen am 02.10.2018).