Stellungnahme zur Thematik Sachwalterschaft/Erwachsenenvertretung
Aufgrund der aktuellen Diskussionen über eine Verschiebung des Inkrafttretens des 2. Erwachsenenschutzgesetzes erlaubt sich die Antidiskriminierungsstelle Steiermark zur Thematik Sachwalterschaft und Erwachsenenschutz Stellung zu nehmen. Gleichzeitig möchten wir auch die Petition von Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ) unterstützen, da wir der Meinung sind, dass die österreichische Regierung durch die Nichtumsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes Gefahr läuft, die Autonomie und Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderung und älteren Personen, denen die Regelung gewisser Bereich im Alltag schwer fällt, zu untergraben.
„Man hilft den Menschen nicht,
wenn man für sie tut,
was sie selbst tun können"1
Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, die sich auch durch eine steigende Lebenserwartung der Bevölkerung auszeichnet. In dieser einer solchen Gesellschaft Gesellschaft ist die Betreuung von Erwachsenen eine sehr wichtige Thematik, die jede/n betreffen kann, sei es als Angehörige/Angehöriger, oder auch zu Betreuende/zu Betreuender, wenn gewisse Angelegenheiten nicht länger selbstbesorgt werden können.
Stehen Menschen zunehmend vor Problemen beim erfolgreichen Erledigen bestimmter Angelegenheiten, wie etwa beim Umgang mit Ämtern und Behörden, beim Abschluss von Verträgen, bei der Regelung der eigenen Finanzen oder bei der Sicherstellung einer angemessenen Wohnsituation, ist für eine geeignete Vertretung zu sorgen, welche stellvertretend Entscheidungen trifft, wobei die betroffene Person in diese Vertretungshandlungen miteinbezogen werden sollte.
Aktuelle gesetzliche Regelung: §§ 268ff ABGB²
Die gesetzliche Vertretung von psychisch kranken und geistig behinderten Erwachsenen ist seit 1984 im Rahmen der Sachwalterschaft geregelt. Damit wurde die zuvor geltende Praxis der "Entmündigung" aufgehoben. Gemäß § 268 Absatz 1 ABGB ist auf Antrag oder von Amts wegen eine Sachwalterin/ein Sachwalter zu bestellen, wenn eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, es nicht vermag, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Die Sachwalterin/der Sachwalter übernimmt die gesetzliche Vertretung der Betroffenen/des Betroffenen in denjenigen Bereichen, in denen diese/dieser sich selbst nicht vertreten kann. In allen anderen Bereichen sollte es für die Betroffene/den Betroffenen zu keinerlei Einschränkungen kommen. Die Übernahme einer Sachwalterschaft sollte demnach eine rechtlich verbindliche Übernahme der Verantwortung für die Betroffene/den Betroffenen sein, da diese/dieser auf Hilfe angewiesen ist.
Problembereiche
Durch die aktuelle gesetzliche Regelung kam es jedoch in den letzten Jahren in wachsendem Maße zu Problemen und Herausforderungen. Stets ein großer Problembereich sind selbstverständlich die Berührungspunkte der Sachwaltschaft mit den höchstpersönlichen Rechten der Betroffenen/des Betroffenen. Theoretisch vorgesehen ist deshalb eine Sachwalterschaft immer als ultima ratio Maßnahme. Schon das Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 20063 hob die Subsidiarität der Bestellung hervor und sollte dahingehend den Anwendungsbereich des Instituts der Sachwalterschaft auf jene Fälle einschränken, in denen die Bestellung unumgänglich ist. In der Praxis wird dieser Zielsetzung jedoch nur sehr unzureichend entsprochen. Häufig kommt es dazu, dass Sachwalter nicht nur für eine bestimmte Angelegenheit oder einen eingeschränkten Kreis von Angelegenheiten bestellt werden, sondern für die Gesamtheit der Angelegenheiten des zu Vertretenden. Weiters sollten vor Bestellung einer Sachwalterin/eines Sachwalters stets Alternativen, wie eine Vorsorgevollmacht4 oder Vertretungsbefugnis durch Angehörige5 oder auch regionale Unterstützungsmöglichkeiten erwogen und eingesetzt werden. Diese Möglichkeiten finden in der Praxis nur geringe Anwendung, da bestehende Alternativen zur Sachwalterschaft nicht oder zu wenig bekannt sind. Es zeigte sich auch, dass in vielen Fällen schon sehr früh eine Sachwalterin/ein Sachwalter eingesetzt wird, ohne sich hinzureichend mit der betroffenen Person auseinandergesetzt und eine Abwägung der Möglichkeiten vorgenommen zu haben, um so eine auf den Einzelfall zugeschnittene Lösung zu finden.
Problematisch ist auch, dass zu wenige geeignete Sachwalterinnen/Sachwalter zur Verfügung stehen. Oft wird eine Rechtsanwältin/ein Rechtsanwalt oder Notarin/Notar zur Sachwalterin/zum Sachwalter bestellt, auch wenn keine rechtliche Vertretung notwendig ist, da in vielen Bereichen keine Angehörigen zur Verfügung stehen, die sich der Vertretung der betroffenen Person annehmen.
Aus der genannten Problematik in der Praxis, aber auch auf Grund einer stark steigenden Anzahl an Sachwalterschaften (alleine von 2003 bis 2015 haben sich die Sachwalterschaften von ca. 30.000 auf ca. 60.000 verdoppelt)6 war ein grundlegender und dringender Änderungsbedarf gegeben.
Neuregelung: 2. Erwachsenenschutz-Gesetz (2. ErwSchG)⁷
Mit 1. Juli 2018 sollte daher das bereits vom Parlament beschlossene 2. Erwachsenenschutz-Gesetz in Kraft treten, das die zu betreuenden Menschen und deren Selbstbestimmung, Autonomie, Freiheit und Entscheidungshilfe wieder in den Mittelpunkt stellt.
Schon während des Entstehungsprozesses dieses neuen Gesetzes wurden die Prinzipien der Selbstbestimmung und Freiheit der betroffenen Personen dahingehend verwirklicht, dass diese in die Neugestaltung aktiv miteingebunden werden sollten. In verschiedenen Gesprächsrunden, Arbeits- und Diskussionsgruppen kamen die betroffenen Personengruppen (von der Sachwalterschaft tangierten Personen, Mitglieder der Rechtsprechung, Anwaltschaft Notariat, Behinderteneinrichtungen, SeniorenInnenvertreterInnen, HeimvertreterInnen, Sachwaltervereine, Volksanwaltschaft und Sozialpartner) zusammen, um über wesentliche Inhalte des Gesetzes zu beraten. Zur Hilfestellung und Koordination wurden die Diskussionen von einer speziell geschulten Moderatorin begleitet.8
Ergänzt wurde dieser Prozess durch das Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung". Während des Zeitraums von März 2014 bis Dezember 2015 wurde dieses Projekt an 18 Gerichtsstandorten durchgeführt. Aufbauend auf einem Konzept des Vereins VertretungsNetz kam es zu einer Ausweitung des bisher genutzten Clearings. Im Rahmen des Clearings und der erweiterten Form, dem sogenannten Clearing Plus, kommt es in Zusammenarbeit eines Sachwaltervereins mit den Betroffenen und den Angehörigen zur Überprüfung der individuellen Situation und Beratung über Umsetzungsmöglichkeiten alternativer Lösungen neben einer Sachwalterschaft. Ziel ist stets die möglichst lange Vermeidung einer Sachwalterschaft und die Ermöglichung, Angelegenheiten der betroffenen Personen nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.9
Das 2. ErwSchG entspricht auch der UN-Behindertenkonvention. Österreich hat 2008 das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Nach Artikel 12 dieses Übereinkommens sind alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um betroffenen Menschen die Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Im Rahmen der Staatenprüfung 2013 durch einen internationalen Ausschuss wurde mit Besorgnis bekanntgegeben, dass die österreichische Gesetzgebung zur Sachwalterschaft veraltet erscheint, mit Artikel 12 der UN-Konvention nicht Schritt halten kann und Änderungsbedarf in der Sachwalterpraxis dringend gegeben ist.10
Um die Ziele dieses neuen Gesetzes zu erreichen, sollte es künftig vier verschiedene Möglichkeiten der Vertretung geben, die jeweils von der Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen abhängen. Durch das Clearing-Verfahren soll genau festgestellt werden, in welchen Bereichen Defizite bestehen und eine Vertretung notwendig ist. Durch das 2. ErwSchG sollen die Vorteile der alten Rechtslage übernommen werden, jedoch die aufgezeigten Schwächen überarbeitet und beseitigt werden.
Die erste Vertretungsmöglichkeit bildet die schon bestehende Vorsorgevollmacht. Mit der Vorsorgevollmacht kann durch die Betroffenen selbst bei einer Notarin/einem Notar oder Rechtsanwältin/Rechtsanwalt eine Vertretung festgelegt werden, die im Fall des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit einschreiten soll.
Durch die Einführung der gewählten Erwachsenenvertretung wird es betroffenen Personen möglich, trotz geminderter Handlungsfähigkeit, eine Vereinbarung mit einer nahestehenden Person über die Vertretung zu treffen. Voraussetzung ist, dass die betroffene Person den Wirkungskreis der Vertretung zumindest in Grundzügen verstanden hat. Missbräuche sollen verhindert werden, indem dem Gericht jährlich über die Lebenssituation und den Vermögensstand zu berichten ist.
Die neue gesetzliche Erwachsenenvertretung für die Dauer von drei Jahren würde weiters zu einem Ausbau der bereits vorhandenen Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger durch Erweiterung des Personenkreises auf Geschwister, Neffen und Nichten führen. Vor Eintragung und damit Gültigkeit der Vertretung in das Österreichische Zentrale Vertretungsregister (ÖZVV), muss eine Belehrung und Befragung der betroffenen Person erfolgen. Um Missbräuche zu verhindern, wird jährlich zusätzlich eine Kontrolle über die Lebenssituation und den Vermögensstand durchgeführt. Nach Ablauf des Vertretungszeitraumes wird geprüft, ob die Vertretung weiterhin angebracht oder eine andere Form der Unterstützung besser geeignet wäre.
Die gerichtliche Erwachsenenvertretung stellt die vierte Form der Vertretung dar. Diese entspricht am ehesten der ursprünglichen Sachwalterschaft, zielt jedoch auf ein Zurückdrängen der SachwalterInnen-Bestellung ab, diese soll nur für die Dauer von drei Jahren und nur für konkret zu erledigende Aufgaben möglich sein. Durch den neuen, modernern Begriff „Gerichtlicher Erwachsenenvertreter" anstatt „Sachwalter" soll die Vertretungsfunktion und der Systemwandel in den Vordergrund gestellt werden.
Mit dieser, auf vier Säulen aufbauenden Reform sollte das seit bereits 30 Jahren bestehende System der Sachwalterschaft ersetzt werden. Die ersten drei Säulen sollen dabei den Regelfall darstellen und die gerichtliche Erwachsenenvertretung als letzte Mittel herangezogen werden. In keiner der genannten Vertretungsmöglichkeiten soll es zu einem automatischen Verlust der Handlungsfähigkeit der zu vertretenden Person kommen. Durch das Instrument des Genehmigungsvorbehaltes kann bei einer ernstlichen Gefahr für die Person dem Gericht bei einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung die Möglichkeit zukommen, die Wirksamkeit von bestimmten rechtsgeschäftlichen Handlungen von einer Genehmigung abhängig zu machen. Weiters gibt es eine Gruppe von Entscheidungen, die als „vertretungsfeindlich" eingestuft werden: Keine Fremdbestimmung ist möglich bei Errichtung eines Testaments, einer Patientenverfügung, sowie einer Vorsorgevollmacht. Aber auch familiäre Angelegenheiten, wie die Eheschließung, Adoption eines Kindes oder die Anerkennung der Vaterschaft sind einer Vertretung nicht zugänglich.
Durch diese Neuregelung sollte es also zu einem Paradigmenwechsel zum Wohle der betroffenen Personen kommen, die Selbstbestimmung sollte trotz Vertretung im Mittelpunkt stehen.
Regierungspläne: Verschiebung der Umsetzung
Bedauerlicherweise wurde am 19. Februar 2018 bekannt, dass die Regierung das Inkrafttreten des Gesetzes, welches im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen wurde, aus budgetären Gründen in Frage stellt und eine Verschiebung um zwei Jahre plant.
Kritik
Berechtigte Kritik kommt von vielen Seiten, da der Änderungsbedarf in der Praxis bereits lange erkannt wurde und die Überarbeitung der Regelungen zur Sachwalterschaft mit Verabschiedung des 2. ErwSchG ein großer Schritt in die richtige Richtung war.
Für rund 60.000 besachwaltete Personen wäre es im Rahmen der neuen Regelung zu einer Statusüberprüfung und Verbesserung ihrer Vertretungsmöglichkeiten gekommen. Darauf muss gegenwärtig in Ungewissheit gewartet werden.11
Sachwalterschafts- und Bewohnervertretungsvereine, die ab Juli für das verpflichtende Clearing-Verfahren zur Situationsfeststellung zuständig wären, haben bereits umfangreiche Vorbereitung getroffen. Neu eingestelltem Personal muss gekündigt werden, geplante Schulungen werden abgesagt und umfassendes in Auftrag gegebenes Informationsmaterial wird storniert.12
Auch von Seiten der Diakonie Österreich wird die Aussetzung des Inkrafttretens als Rückschritt und falsche Prioritätensetzung kritisiert.13
Die Volksanwaltschaft gibt zu bedenken, dass die Verschiebung nicht nachvollziehbar sei, da die Finanzierung schon vor einem Jahr zugesichert worden sei und man davon ausgehen kann, dass eine gesetzeskonforme Umsetzung erfolgen wird.14
Resümee
Die österreichische Gesellschaft versteht sich als offene und pluralistische Gesellschaft, welche Diversität als positiven Beitrag und Merkmal von Modernität einer großen Bedeutung zugeschrieben wird. In einer solchen Gesellschaft ist es von größter Wichtigkeit, die Autonomie und Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderung und älteren Personen, denen die Regelung gewisser Bereiche im Alltag schwer fällt, aufrechtzuerhalten. Im Rahmen des 2. ErwSchG würde es zu mehr Transparenz und einem Ausbau der Vertretungsmöglichkeiten kommen, um für jeden Betroffenen/jede Betroffene eine bestmögliche Lösung zu finden. Finanzielle Gründe können dem Schutz und der Würde der Betroffenen nicht entgegenstehen.
1 Zitat Abraham Lincoln.
2 StF: JGS Nr. 946/1811 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 161/2017.
3 BGBl. I Nr. 92/2006.
4 §§ 284 f bis 284 h ABGB.
5 §§ 284 b bis 284e ABGB.
6 Bundesministerium für Justiz, das neue Erwachsenenschutzrecht https://www.justiz.gv.at/web2013/file/2c94848a5d55ef0a015d7e4634cc1807.de.0/justiz_erwschg_download.pdf (Seite 2).
7 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00222/fname_545852.pdf.
8 Bundesministerium für Justiz, das neue Erwachsenenschutzrecht https://www.justiz.gv.at/web2013/file/2c94848b5c82711e015cc49e04cf082f.de.0/justiz_erwschg_download.pdf (Seite 6).
9 Vgl. https://www.justiz.gv.at/web2013/home/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2016/sachwalterschaft-modellprojekt-unterstuetzung-zur-selbstbestimmung-erfolgreich-~2c94848b532dad1d01539db55de209d6.de.html (22.03.2016)
10 Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs (CRPD/C/AUT/1) http://docstore.ohchr.org/SelfServices/FilesHandler.ashx?enc=6QkG1d%2fPPRiCAqhKb7yhsnzSGolKOaUX8SsM2PfxU7s9lOchc%2bi0vJdc3TEt6JuQH6d6LwuOqunaiCbf0Z0e%2b%2fWMb4CH5VprCrZY%2bNACxgE0TuveykmCBkAshdLAsUeB.
11 Vgl. https://derstandard.at/2000074670808/Zoegern-beim-Erwachsenenschutz-fuehrt-zu-Kuendigungen.
12 Ebda.
13 Vgl. https://evang.at/diakonie-uebt-kritik-an-verschiebung-des-erwachsenenschutzgesetzes/.
14 Vgl. https://diepresse.com/home/innenpolitik/5374481/Regierung-stellt-Besserstellungen-fuer-Behinderte-infrage.