Stellungnahme zur Debatte über die unterschiedliche Behandlung von Drittstaatsangehörigen beim Zugang zu Sozialleistungen
Sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch quer durch die Landesregierungen wurde und wird darüber diskutiert, bestimmte Transferleistungen für Menschen aus Nicht-EU-Ländern nicht im selben Ausmaß oder nicht in derselben Form auszuzahlen wie für ÖsterreicherInnen und EU-BürgerInnen. Die Rede ist von einer grundsätzlichen Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte, einer Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte bei Verweigerung von Integrationsmaßnahmen, einer Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte auf Zeit und der Gewährung einer Integrationshilfe, um diese Kürzung zu kompensieren, einer Streichung der Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte, einem Umstellen von Geld- auf Sachleistungen, einer Verpflichtung zu Integrationsmaßnahmen (z.B. Deutschkurse) für Mindestsicherungs-bezieherInnen aus Nicht-EU-Ländern und einer Deckelung der Mindestsicherung für Mehrpersonen-haushalte. Zudem wird immer wieder (Land Vorarlberg, Stadt Graz) der Bezug bestimmter Sozialleistungen mit dem Unterschreiben einer Integrationsvereinbarung verknüpft, die über bestimmte Grundregeln des Zusammenlebens informiert und Erwartungen in Bezug auf Integrationsleistungen der Unterzeichnenden formuliert.
Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte
Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte, die Integrationsmaßnahmen verweigern
Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte mit befristeter Asylgewährung
Streichung der Mindestsicherung für Subsidiär Schutzberechtigte
Verpflichtung zu Integrationsmaßnahmen (z.B. Deutschkurse) für MindestsicherungsbezieherInnen aus Nicht-EU-Ländern
Bei der Gewährung von Sozialhilfe und Sozialschutz für langfristig Aufenthaltsberechtigte können die EU- Länder diese gemäß Artikel 11 Abs. 2 der RL/2003/109/EG auf Kernleistungen beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zur Verfügung stellen. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung stellt eine Kernleistung dar.
MindestsicherungsbezieherInnen aus Nicht-EU-Ländern generell zu Integrationsmaßnahmen zu verpflichten und damit den Bezug der Mindestsicherung von der Teilnahme an Integrationsmaßnahmen abhängig zu machen, ist grundsätzlich eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Unsachliche Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit sind für die Verwaltung jedoch über das Bundesverfassungsgesetz vom 3. Juli 1973 zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BGBl.Nr. 390/1973) verboten.8 Eine sachliche Begründung für diesen generellen Ausschluss von Drittstaatsangehörigen ist nicht erkennbar. Auch vor dem Hintergrund der Argumentation Rebhahns für die Möglichkeit einer Verknüpfung eines Mindest-sicherungsbezuges mit der Teilnahme an Integrationsmaßnahmen zur Herstellung der Erwerbsfähigkeit, kann eine solche sachliche Rechtfertigung für Drittstaatsangehörige nicht hergestellt werden, da es sich bei dieser Gruppe sowohl um Menschen handeln kann, die bereits lange in Österreich leben, sprachlich und kulturell integriert sind und erwerbsfähig sind, als auch um Menschen, die erst seit kurzem in Österreich leben. Es kann sich dabei um Menschen handeln, die bereits daueraufenthaltsberechtigt sind und um Menschen mit befristetem Aufenthaltstitel.
EU-BürgerInnen
Nach Artikel 24 Abs. 1 genießt jede/r Unionsbürger/in, die/der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen. Abweichend von Absatz 1 ist gemäß Abs. 2 der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als ArbeitnehmerInnen oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.
Demnach bleibt Unionsbürgern/innen und deren Familienangehörigen, die nicht den Status eines Arbeitnehmers/ einer Arbeitnehmerin oder eines Selbstständigen/ einer Selbstständigen haben, während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes in einem anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union der Zugang zu Sozialhilfeleistungen verwehrt. Das heißt, dass arbeitssuchende Unionsbürger/innen und Personen, die sich für den Zweck einer Ausbildung in einen anderen Mitgliedsstaat der EU begeben, während der ersten drei Monate keine Sozialhilfe erhalten.
Unterschreiben einer Integrationsvereinbarung als Voraussetzung für bestimmte Sozialleistungen einer Gemeinde
Für Asylberechtigte gilt – wie bereits oben angeführt – dass sie laut GFK im Bereich der „Öffentlichen Unterstützungen“ gleich zu behandeln sind, wie österreichische StaatsbürgerInnen. Daher wäre eine Ungleichbehandlung von Asylberechtigten im Vergleich zu österreichischen Staatsangehörigen ein Widerspruch zur Bestimmung der GFK. Eine Unterscheidung zwischen Kernleistungen und darüber hinausgehenden Sozialleistungen findet sich in der GFK nicht.
Für subsidiär Schutzberechtigte gilt laut Richtlinie, dass sich die dieser Personengruppe gewährte Sozialhilfe auf Kernleistungen beschränken darf. Freiwillige Leistungen wie die Sozialcard, Kinderbetreuung, Sport- und Ferienkurse, Wirtschaftsförderung etc. gehören nicht zu diesen Kernleistungen, so dass die unterschiedliche Behandlung von subsidiär Schutzberechtigten im Vergleich zu österreichischen Staatsbürgern oder EU-Staatsangehörigen in diesem Punkt der Richtlinie nicht widerspricht.
Für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige gilt laut Richtlinie 2003/109/EG, dass sie unter anderem in den Bereichen soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz wie eigene StaatsbürgerInnen zu behandeln sind, dass die EU-Mitgliedstaaten jedoch diesen Bereich auf Kernleistungen beschränken dürfen.9 Somit gilt für Daueraufenthaltsberechtigte, dass eine Ungleichbehandlung beim Zugang zu den oben genannten freiwilligen Sozialleistungen einer Gemeinde, die nicht den Kernleistungen entsprechen, der Richtlinie nicht widerspricht.
Für EU-BürgerInnen gilt, dass eine Versagung der Sozialleistungen innerhalb der ersten drei Monate ihres Aufenthalts, besonders „beitragsunabhängiger Geldleistungen im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG, statthaft ist.
Unabhängig von den Vorgaben der GFK und der verschiedenen Richtlinien gilt auch hier – wie für jedes Handeln der Verwaltung – das Verbot der Diskriminierung aufgrund „der Rasse [sic!], der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft“ entsprechend dem österreichischen „Bundesverfassungsgesetz betreffend das Verbot rassischer [sic!] Diskriminierung“.8
Eine Ungleichbehandlung muss sachlich begründet sein, um nicht diskriminierend zu sein. Das heißt, eine Gruppe muss sich bezüglich der zu treffenden Entscheidung in relevanter Weise von der anderen unterscheiden. Im konkreten Fall geht es darum, zu entscheiden, ob jemand eine freiwillige Sozialleistung der Gemeinde erhält oder nicht. Der Unterschied zwischen der Gruppe, die die Integrationsvereinbarung unterschreiben muss („alle Personen, die nicht aus Österreich oder EU-Staaten kommen“10), und der Gruppe, die diese Integrationsvereinbarung nicht unterschreiben muss (alle Personen, die aus Österreich oder EU-Staaten kommen), ist wohl die Annahme, dass die erste Gruppe zu wenig über Grundwerte und -regeln in Österreich weiß und daher darüber informiert werden muss, die andere dagegen nicht. Angesichts der sehr breiten Definition der zur Unterzeichnung der Integrationserklärung verpflichteten Gruppe erscheint diese Annahme grundsätzlich unsachlich und unbegründet. Und auch wenn die Annahme für einen Einzelfall stimmen würde, bleibt offen, ob die Unterschrift unter der Integrationserklärung tatsächlich in der Lage ist, diesen Unterschied zu jemandem, dem/der unterstellt wird, genug über die Grundwerte und -regeln von Österreich zu wissen, auszugleichen.
1 Sozialleistungen an „international Schutzberechtigte und Schutzsuchende – Möglichkeiten zur Differenzierung gegenüber Staatsangehörigen. Gutachten für die Österreichische Bundesregierung. Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Universität Wien. Projektleitung: Univ. Prof. Dr. Robert Rebhahn. Mitarbeit: Mag. Thomas Pfalz und mag. Dominik Stella. 29. März 2016.
2 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutze
3 Rebhahn 2016, S. 49.
4 OGH, 10 Ob 51/12s
5 RL 2011/95/EU, Art. 29, Abs. 2.
6 Ebda, Erwägungsgrund 45.
7 § 1 Steiermärkisches Mindestsicherungsgesetz
8 Vgl. Art. I, BGBl. Nr. 390/1973.
9 Vgl. Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, Art. 11.
10 Vgl. den Dringlichen Antrag des Grazer ÖVP-Gemeinderatsclubs in der GR-Sitzung vom 25.02.2016. Download unter: http://www.graz.at/cms/dokumente/10264025_410977/72c65ec9/160225_dringliche.pdf.